Eine Waschkabine, eine Kochnische, ein Esstisch, auf dem eine Schale Obst steht, dahinter ein ausklappbares Bett: Leonardo di Chiara fehlt es an nichts. Seit Montag steht sein fahrbares Tiny House (deutsch: winziges Haus) unter der Paulinenbrücke in Stuttgart und zieht die Blicke der Passanten auf sich.
Ein Artikel von Tilman Baur in der Südwestpresse 16.10.2018
Gerade einmal neun Quadratmeter stehen dem 28-jährigen Italiener zum Leben zur Verfügung. Kein Problem für ihn: „Es ist zwar klein, aber funktional“, so der Architekt und Bauingenieur aus Bologna. Natürlich sei es von Vorteil, wenn er sein Haus in der Stadt aufstellen kann. „Ich habe zum Beispiel keine Waschmaschine und brauche einen Waschsalon in der Nähe, habe kein Buchregal und keinen WLAN-Router“, sagt di Chiara.
Doch vieles, was zunächst unmöglich erscheint, ist es ganz und gar nicht. „In Berlin haben 20 Leute hier drin eine Party gefeiert“, erzählt der Architekt. Neun Monate hat er gebraucht, um sein Häuschen aus Holz und rostfreiem Stahl zu bauen. Es ist vier Meter hoch, 2,53 Meter breit und wiegt 3500 Kilogramm. 40 Sponsoren spendeten Materialien. Seither tingelt er durch Italien, Deutschland und die Schweiz, zuletzt hat er sein Haus auf einer Messe in Zürich ausgestellt.
Di Chiara sieht sich als Teil der sogenannten Tiny-House-Bewegung, die in den USA entstanden ist. Er ist Überzeugungstäter und glaubt an das Wohnmodell. Deshalb will er, dass so viele Menschen wie möglich reinkommen und eine Zeitlang auch im Haus leben. „Es ist eine echte Wohnung, nicht nur ein Ausstellungsraum. Ich will, dass die Leute das wirklich selbst erfahren. In Zukunft wird das Tiny House die Norm“, sagt er.
Den Traum vom Zwergenhaus träumte di Chiara schon als Kind. Wegen einer Stauballergie lebte er bei den Eltern in einem kleinen Zimmer, das er täglich putzen konnte. „Ich habe damals gemerkt, dass man auch auf kleinem Raum sehr gut leben kann.“
Der Verein Stadtlücken möchte mit der Installation des Miniaturhauses eine Diskussion über das Wohnen in der Stadt anstoßen. Ob das Tiny House eine Antwort auf die Wohnungsnot geben kann, wollen sich Carolin Lahode und Sascha Bauer nicht festlegen. „Wir wollen das ganze Thema Wohnen in den Fokus rücken, auch vor dem Hintergrund, was alles in der Stadt passiert ist in letzter Zeit“, sagt Lahode und spielt auf die Hausbesetzungen im Sommer an. Tiny Houses jedenfalls seien nicht zuletzt Phänomene eines Zeitgeists, in dem Menschen ihr Leben aufs Wesentliche reduzieren wollen. „Man lebt minimalistisch und ist immer mobil“, erklärt Lahode.
Leonardo Di Chiaras Häusle ist kein Solitär auf dem Österreichischen Platz. Eine blau angestrichene Wohninstallation ist Teil des neuen Stadtlücken-Projekts und steht gegenüber. Bett, Schrank, Klo, Badewanne, Fernseher: Utensilien einer Privatwohnung sind hier versammelt. Genau 39 Quadratmeter groß ist die Fläche, auf dem das Ensemble steht – die Fläche, die Mietern in Stuttgart durchschnittlich pro Kopf zur Verfügung steht.
„Wir hinterfragen gängige Wohnmodelle“, sagt Paul Vogt von der Gruppe Adapter. Die Gruppe besteht aus Architekturstudenten der Universität Stuttgart. Wohnungen in Strukturen zu integrieren, die eigentlich nicht dafür vorgesehen sind, ist eines ihrer Konzepte. Die Verknüpfung von Stadtraum und Wohnraum soll Fragen aufwerfen, zum Beispiel danach, was man als „zu Hause“ bezeichnet: sind es nur die eigenen vier Wände, oder gehört mehr dazu, die Straße, das Quartier, der erweiterte Stadtraum?
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