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Von der Gemütsruhe

    Man muss der Seele etwas zuliebe tun und ihr bisweilen Muße geben, die ihr als Nahrung und Stärkung dienen soll. Auch auf Spaziergängen im Freien muss man umherschweifen, damit der Geist unter freiem Himmel und in der freien Luft sich stärke und erhebe.

    Zuweilen wird auch eine Spazierfahrt, eine Reise, Ortsveränderung, ein geselliges Mahl und ein anständiges Trinkgelage neue Regsamkeit geben; ja, mitunter darf es wohl gar bis zu einem Räuschchen kommen, nicht dass es uns ersäufe, aber doch untertauche. Denn das verscheucht die Sorgen, rüttelt die Seele von Grund in ihren Tiefen auf und ist wie gegen manche Krankheiten, so auch gegen die Traurigkeit ein Mittel.

    Goethe trank täglich mehr als zwei Liter Wein und wurde über 80 Jahre alt. Und niemand sage, mit nur einem Liter hätte er zweimal so viel geschrieben und wäre er doppelt so alt geworden.

    Gregor Brand

    Und Liber, d. h. der Freie, ist der Erfinder des Weins genannt worden, nicht wegen Ungebundenheit der Zunge, sondern weil er die Seele von der Knechtschaft der Sorgen frei macht, sie aus der Sklaverei entlässt, sie belebt und zu allen Unternehmungen kühner macht.

    Doch wie in der Freiheit, so ist auch beim Weine Mäßigung heilsam. Man glaubt, dass auch Solon und Arcesilaus dem Weine ergeben waren. Dem Cato ist Trunkenheit vorgeworfen worden; mag ihm das vorwerfen, wer da will, er wird diesen Fehler dadurch eher zu Ehren, als den Cato in Schande bringen. Aber es darf auch nicht oft geschehen, damit nicht die Seele eine üble Gewohnheit annehme; zuweilen jedoch mag sie sich herausreißen zur Lustigkeit und Ungebundenheit und die mürrische Nüchternheit ein Weilchen entfernt werden.

    Mit der Freiheit ist es nicht anders als mit derben und saftigen Speisen oder starken Weinen. Für gesunde und starke Naturen sind sie nahrhaft und stärkend. Sie überladen, verderben und berauschen jedoch schwache und zarte Menschen.

    Jean-Jaques Rousseau, französisch- schweizerischer Dichter und Philosoph, 1712 – 1778

    Denn, mögen wir nun einem griechischen Dichter glauben: „es ist zuzeiten süß, ein wenig toll zu sein“ oder dem Plato: „vergebens klopft, wer ganz bei sich selbst ist, an die Pforte der Poesie“ oder dem Aristoteles: „kein großes Genie war ohne eine Dosis Tollheit“, nur ein begeisterter Mensch kann etwas Großes und über das Gewöhnliche Erhabene aussprechen.

    Wenn er das Gemeine und Alltägliche verachtet und in heiliger Begeisterung sich höher schwingt, dann erst verkündet er Größeres als ein sterblicher Mund. Nichts Erhabenes und Hohes kann er erreichen, so lange er bei sich selbst ist; abweichen muss er vom Gewöhnlichen, sich aufwärts schwingen, in die Zügel knirschen und seinen Lenker mit sich reißen und ihn dahin führen, wohin zu steigen er für sich selbst wohl nicht gewagt hätte.

    (Seneca – Lucius Annaeus Seneca, römischer Philosoph, 4-65 n.Chr.: Von der Gemütsruhe)

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