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„Urbane Gebiete“ – baulich-gestalterische Strategien und stadträumliche Qualitäten für eine neue Baugebietskategorie

    Eine Publikation des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR)

    „Die Stadt ist gebaut“ (Koch 1988). In Folge der Urbanisierung überlagern sich auf immer kleiner werdendem Stadtraum vielfache Ansprüche im Spannungsfeld zwischen Dichte, Mischung, Akzeptanz und Aneignung. Mit den Werten der nachhaltigen europäischen Stadt sind Ansätze beschrieben, diesen Raum haushälterisch und qualitätsvoll weiterzubauen und Funktionstrennungen zu überwinden. Durch eine angemessene Mischung von Wohnen, Arbeiten, Bildung, Versorgung und Freizeiteinrichtungen in Verbindung mit kurzen Wegen sollen der Alltag erleichtert und Ressourcen geschont werden.

    Ändert sich die Stadt, ändert sich auch das Zusammenleben. Während die Stadt einem ständigen Wandel unterliegt, ist sie zugleich Heimat ihrer Einwohnerinnen und Einwohner. Der Umbau einer Stadt geschieht also immer auch im Herzen der Bevölkerung und ihrer Sehnsucht nach Orientierung.

    Um das neue Zusammenleben in der Stadt zu stärken, wurden in der Baurechtsnovelle 2017 die Weichen für einen neuen Baugebietstyp gestellt. Das eingeführte „Urbane Gebiet“ (MU) soll einen Betrag leisten, das neue Zusammenleben in der Stadt zu stärken. Damit wird Entwicklern, Investoren, Planerinnen und Planern ein neues Werkzeug gegeben, das in Bezug auf bauliche Dichte, Nutzungsmischung und Lärmschutz neue Wege geht.

    Das Projekt „Qualitäten Urbaner Gebiete“ hat zum Ziel, Erkenntnisse über das Einsatzpotenzial sowie Vorteile und Nachteile in der Planung oder späteren Nutzungsphase zu ermitteln. Dies geschieht mit dem Fokus auf folgende Forschungsfrage:

    Welche baulich-räumliche Gestaltung von Gebäuden und Zwischenräumen trägt der neuen, verdichteten Mischnutzung „Urbane Gebiete“ und ihrem zukünftigen Wandel Rechnung?

    Da MU erst seit wenigen Jahren baurechtlich definiert sind, bestehen noch keine realisierten oder gar belebten Entwicklungsgebiete, die Gegenstand der Untersuchung sein könnten. Es ist jedoch eine steigende Zahl von Arealentwicklungen zu beobachten, die das MU in die Bauleitplanung integriert haben.

    Im Forschungsprojekt werden zuerst „Urbane Qualitäten“ ermittelt. Dies geschieht durch Literaturrecherchen und die Evaluation von Best-Practice-Beispielen im europäischen Raum. Auf Basis dieser Sammlung sind sieben „Thesen urbaner Qualität“ formuliert. Sie dienen als Maßstab für die Analyse von fünf Fallbeispielen von unterschiedlichen Projektentwicklungen mit MU. Auf diese Weise konnte ein erster vertiefter Einblick in die gegenwärtige Praxis zum MU gewonnen und eine konkrete Diskussion mit den beteiligten Akteuren geführt werden. Dies geschah anhand bereits verfasster Planungen und mithilfe von Szenarien-Workshops, in denen alternative Einsatzmöglichkeiten und räumliche Konsequenzen ausgelotet wurden. Dabei wurden ebenso geeignete Verfahren beleuchtet, um einen angemessenen Qualitätsdiskurs führen zu können und Wünsche und Bedürfnisse aus der Planung schließlich in die Realität zu überführen.

    Die wichtigsten Schlussfolgerungen der qualitativen Forschung umfassen unter anderem folgende Punkte für die Einsatzmöglichkeiten von MU:

    • Das MU bietet eine höhere Dichte und einen größeren Spielraum in der Nutzungsmischung als andere Baugebietskategorien. Diese Freiheit geht jedoch auch mit größerer Verantwortung einher, Mischung und Wandel qualitätsvoll und mithilfe geeigneter Gebäudetypologien resilient zu gestalten. Das MU ist als robustes Gerüst gut dafür geeignet und kann eine Vorreiterrolle im Quartier einnehmen.
    • Bei der Planung sind die Rolle und der Wirkungsbereich von MU im Quartier zu beachten. Das MU kann differenzierte Voraussetzungen für den Lebensalltag und die städtische Atmosphäre schaffen.
    • Damit eine größere bauliche Dichte nicht zur Enge wird, müssen Freiräume in MU qualitätsvoll gestaltet sein und Aneignungen zulassen.

    Aus dem in Interviews und Workshops geführten Qualitätsdiskurs wurden darüber hinausgehend folgende Qualitäten der Prozessgestaltung bei der Planung von MU ermittelt, die auch in ähnlich dichten und durch- mischten Stadtsituationen zur Anwendung kommen können:

    • Die gewünschte urbane Qualität muss von der Vision in die Realität überführt werden können. Dazu braucht es unter den Akteurinnen und Akteuren ein gemeinsames Qualitätsverständnis und konkrete räumliche Illustrationen um Potenziale und Konsequenzen für den gebauten Lebensraum gezielt zu erkennen.
    • Die Planungs- und Nutzungsreihenfolge eines neuen Quartiers setzt den Maßstab für die Erst- entwicklung. Durch MU kann die Nutzung baurechtlich langfristig variabel sein, sie muss jedoch durch bauliche Voraussetzungen und Eigentumsverhältnisse unterstützt werden.
    • Urbane Qualität entsteht auch durch die Bewohnerinnen und Bewohner sowie Nutzenden eines Quartiers. Ohne Belebung sinkt die Attraktivität, weshalb insbesondere bei dichten Stadtquartieren mit einer Vielzahl an Mehrfachansprüchen partizipative Verfahren unabdingbar sind.

    Mit den Ergebnissen des Projekts „Qualitäten Urbaner Gebiete“ ist eine erste Grundlage geschaffen, das Forschungsfeld der Einsatzmöglichkeiten des neuen Baugebietstyps „Urbanes Gebiet“ (MU) weiter zu öffnen. Mit seinen spezifischen Voraussetzungen ist es ein wichtiger Baustein des Stadtgeflechts. Es muss sich nun zeigen, wie sich MU in der Zukunft bewähren. Die erarbeiteten Erkenntnisse und Methoden unterstützen den wich- tiger werdenden Qualitätsdiskurs der baulich-räumlichen Gestalt und des urbanen Erlebens in verdichteten Städten in Sinn einer lernenden Baukultur.

    Die Ergebnisse wurden in Form eines „Projekt-Koffers“ aufbereitet. Dieser enthält eine Anleitung und praxis- gerechte Vorlagen zur Planung und Durchführung von „Szenarien-Workshops“ zugunsten der Qualitäts- diskussion in der Projektentwicklung.

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