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Einfluß des Klimas — Weltatlas der Archäologie 1988

    In den vergangenen 16 Mio. Jahren hat das Klima der Erde — wahrscheinlich als Folge von Schwankungen der Erdrotation — dramatische Veränderungen erfahren. Die bekannteste ist die „Eiszeit“ (Pleistozän), die aus einer Folge von kälteren und wärmeren Phasen bestand und vor etwa 2 Mio. Jahren begann. Die augenfälligsten Zeugnisse von Gletscheraktivitäten in den kälteren Perioden sind die tiefen U-förmigen Trogtäler in den nördlichen Breiten. Nicht minder bedeutsam sind weiträumige Ablagerungen von Geröll, Lehm und Löß, die überall in Nordamerika, Nordeuropa und sogar in China zu finden sind. Der Klimawechsel hatte entscheidenden Einfluß auch auf den Wasserstand der Meere und auf Pflanzen und Tiere. In jenen fernen Zeiten gab es in England Tierarten, die heute nur in Afrika und der Arktis anzutreffen sind.

    Untersuchungen von Proben aus dem Meeresboden zeigen, daß die Klimaveränderungen tatsächlich eine Abfolge von kälteren, eiszeitlichen, und wärmeren, zwischeneiszeitlichen, Perioden darstellten. In einigen Zwischeneiszeiten war es wärmer als heute. Kernproben vom Meeresboden zeigen diese Klimaschwankungen deutlicher an als das Festland, da er kaum durch Erosion verändert wurde.

    Wenn die Klimaschwankungen auch in den nördlichen und südlichen Breiten die eklatantesten Auswirkungen hatten, machten sie sich doch auch in den Tropen bemerkbar. Als sich die Eisdecken ausbreiteten, banden sie große Mengen von Wasser, reduzierten die Feuchtigkeit in der Atmosphäre und somit den Niederschlag in Form von Regen oder Schnee. Während einer Eiszeit nahm also konsequenterweise die Niederschlagsmenge allmählich ab. In den tropischen und subtropischen Breiten führte die größere Trockenheit zur Ausbreitung der Wüsten. Umgekehrt war mehr Wasser verfügbar, wenn das Eis schmolz, und der Niederschlag nahm wieder zu. Diese Veränderungen werden in dem sich drastisch wandelnden Küstenverlauf faßbar. Solange die Gletscher große Wassermengen banden, fiel der Meeresspiegel und gab Land frei, das heute überflutet ist. Während der Zwischeneiszeiten konnte der Meeresspiegel höher liegen als heute, was an den noch sichtbaren Ablagerungsschichten oberhalb des heutigen Meeresspiegels abzulesen ist.

    Die Klimaschwankungen hatten einen entscheidenden Einfluß auf die Landschaft. Riesige Gletscherzungen gruben tiefe Taleinschnitte, lagerten dicke Schichten von Lehm, Geröll und Löß ab und veränderten den Lauf der Flüsse. Zudem ließen die größeren Wasser- und Niederschlagsmengen das Land wachsen, auf dem Viehherden weiden und Pflanzen angebaut werden konnten, von denen sich der prähistorische Mensch ernährte. Damals waren Gebiete, die heute Inseln sind, ohne weiteres zu besiedeln. So konnte man von Frankreich nach England zu Fuß gehen, Japan und Java waren mit dem Festland verbunden, und eine Landbrücke über die Beringstraße verband Sibirien mit Alaska.

    Die Klimaschwankungen beeinflußten auch ganz wesentlich Flora und Fauna. Arktische Spezies wanderten mit dem Eis südwärts und zogen sich mit zunehmender Wärme wieder nach Norden zurück. In den Kaltzeiten waren in England Lemminge, Rentiere, Mammut und wollhaariges Nashorn beheimatet, in wärmeren Zeiten Elefanten, Flußpferde und Löwen. Der tropische Regenwald dagegen veränderte sich wenig. Er beherbergte stets dieselben Pflanzen und Tiere, obwohl er abwechselnd schrumpfte oder sich ausdehnte.

    Ein Lebewesen hat offenkundig all die Veränderungen seines Lebensraumes gut gemeistert: der prähistorische Mensch. Er war in der Savanne Afrikas anzutreffen, im tropischen Regenwald Südostasiens und im gemäßigten Klima Südeuropas, von wo aus er in nördlichere Regionen vordrang, sobald sich die Lebensbedingungen dort verbesserten. Der Wandel in Pflanzen- und Tierwelt beeinflußte auch die Ernährung prähistorischer Völker. Jedoch erst die fortschreitende technische Bewältigung der Umweltprobleme machte es dem Menschen möglich, zu überleben, während andere Spezies abwanderten oder ausstarben. Möglicherweise waren gerade die Klimaveränderungen für die Evolution des Menschen selbst von Bedeutung. Vielleicht haben die raueren Bedingungen der Eiszeiten die menschliche Intelligenz stimuliert, um ein Überleben zu garantieren: das Gehirn wurde größer, der Mensch erfinderischer und flexibler; er plante voraus, und die Sprache ermöglichte eine bessere Verständigung. Solche Wandlungen der prähistorischen Bevölkerung vollzogen sich innerhalb vieler Generationen, und diese Evolution spiegelt sich in der Entwicklung von Steinwerkzeugen, der Organisation der Siedlungsplätze, dem Bau von Unterkünften und dem Gebrauch von Kleidung.

    Quelle: Weltatlas der Archäologie – Hrsg: Christopher Scarre – Südwest Verlag + The Times

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