Die Wiege des zukünftigen Reisanbaus könnte in Stuttgart stehen. Denn in den lokalen Forschungseinrichtungen ist alles erforderliche Know-how versammelt: Architekten, Energie-, Fördertechniker, Innenraumtechnologen und Logistik-Experten sowie die Agrarwissenschaftler der Universität Hohenheim. Sie erweitern die alte Idee eines Gewächshauses, in dem auf 20-30 Etagen Wasser- und Energiesparend sowie völlig ohne Pestizide Reispflanzen vollautomatisch heranreifen. Gezielte Stuttgarter Forschung könnte die technischen Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Reisernte sich pro Fläche vervielfacht. Erste Schritte, um aus der Vision Wirklichkeit zu machen, diskutieren rund 30 Experten am Dienstag, 6. Juli ab 9:00 Uhr an der Universität Hohenheim. Unterstützt wird der Workshop von der Stiftung fiat panis.
Das lichtundurchlässige Transportband hat kleine Öffnungen. In jede Öffnung kommt ein keimfreier Reissämling: die Wurzeln unterhalb des Bandes in einem Dunkelraum, die Pflanze selber oben unter optimalen Lichtbedingungen. Das Band zieht die Pflanzen bis zu ihrer Ernte nach rund 120 Tagen langsam durch das gesamte Gebäude.
Eine zentrale Steuerung sorgt dafür, dass die Wurzeln im Sekundentakt mit der optimalen Nährlösung besprüht werden. Wasser und Nährstoffe gehen in geschlossenen Kreisläufen dabei kaum verloren. Unter jederzeit kontrollierten Bedingungen haben Krankheiten und Schädlinge keine Chancen sich zu etablieren.
Zielkonflikt zwischen Metropolen und Landwirtschaft
Die Vision einer weitgehend automatisierten Reisproduktion hält Prof. Dr. Sauerborn vom Institut für Pflanzenproduktion und Agrarökologie in den Tropen und Subtropen nicht nur für technisch möglich, sondern auch für dringend geboten.
„Die Weltbevölkerung wächst bis 2070 auf schätzungsweise 9 Milliarden Menschen. Die Hälfte davon wird in immer größeren Städten leben. Unsere Vorfahren haben ihre Siedlungen dort gegründet, wo die besten Böden verfügbar sind. Hier ist in Zukunft ein Zielkonflikt zwischen Bauland und Ackerfläche vorprogrammiert.“
Klimaschädling Reis
Von den drei Grundnahrungsmitteln Reis, Mais und Weizen ist Reis im bisherigen Anbau am umweltschädlichsten. Auf 157 Millionen Hektar Fläche weltweit verbraucht Reis bis zu seiner Ernte von ca. 700 Millionen Tonnen fast ein Drittel des vor Ort vorhandenen Frischwassers.
In den überfluteten Reisflächen entsteht durch Gärungsprozesse zudem das klimawirksame Gas Methan. Es ist 20-mal klimawirksamer als Kohlendioxid. „Man schätzt, dass bis zu 20 Prozent der weltweiten Methanproduktion auf das Konto des Reisanbaus gehen“, erklärt Prof. Dr. Sauerborn. „Beim Weizenanbau wird überhaupt kein Methan produziert. Bei Reis drängt es sich geradezu auf, seine Anbauform zu überdenken.“
Pflanze im Mittelpunkt des Interesses
Menschen bauen für sich selbst seit einem Jahrhundert Hochhäuser. Auch die Idee, mit Pflanzen in die Vertikale zu gehen, ist bereits 50 Jahre alt. „Die Entwürfe stammen meistens von Architekten, und die angedachten Gebäude werden den Bedürfnissen der Pflanzen wenig gerecht “, schränkt Prof. Dr. Sauerborn ein. „Außerdem wollten sie meist Edelkulturen anbauen, die von der Fläche und vom Klima her irrelevant sind. Wir fokussieren uns ganz bewusst auf ein klimarelevantes Grundnahrungsmittel.“
Der Hohenheimer Konzept „Skyfarming“ geht von den Wachstumsbedingungen der Pflanze selbst aus. Die Entwicklung der LED-Technik und erste Arbeiten, wie sich Wasser und Nährstoffe im bodenlosen Wurzelraum vernebeln lassen, rücken die Utopie ins Denkbare.
„Ein von der Jahreszeit unabhängiges Gewächshaus mit einem Hektar Anbaufläche auf 20 Etagen könnte nach unserem Konzept bei zweieinhalb Ernten 500 Tonnen Ertrag pro Jahr bringen. Das wäre die 100-fache Menge auf derselben Fläche heute.“
Hoher Forschungsbedarf
Bis dahin sind noch einige Probleme zu lösen, zum Beispiel, wie sich die Anzucht und die Gebäudeatmosphäre schaderreger- und keimfrei halten lassen. Auch für die Energie-Effizienz sind nach Prof. Dr. Sauerborn noch Lösungen erforderlich.
„Sicher ist, dass viele Fragen offen sind. Einen ersten Gebäude-Prototypen könnten wir frühestens in 10-15 Jahren bauen. Aber wir haben hier einen idealen Forschungsstandort aus Wissenschaft und wirtschaftlichem Umfeld. Die Frage ist, ob Stuttgart und Baden-Württemberg sich die Chance entgehen lassen möchte, substanziell für eine Welternährung und den Klimaschutz zu arbeiten und eventuell sogar auf einen Exportschlager zu verzichten.“
Pressemitteilung der Universität Hohenheim vom 30.06.2010