Warum es auf vielen Stadtplätzen wie in neumodischen Büros aussieht
von Wolfgang Ullrich, DIE ZEIT 28.08.2003
Weil auch ein Mülleimer heutzutage kein Mülleimer mehr sein darf, bekommt er kurzerhand einen Namen verpasst. Er heißt Vincenzo oder Enzo, und seine Kollegin, die gewöhnliche Straßenbank, hört neuerdings auf Namen wie Charisma, Piazza oder Siesta. Auch Mauritius, Elba oder Mallorca trifft man seit kurzem auf unseren Straßen, es sind Buswartehäuschen. Immer neue Produkte mit immer neuen Namen füllen den öffentlichen Raum, und nichts lässt die Industrie unversucht, noch mehr Fahrradständer und Poller an die Städte zu verkaufen.
Es liegt ja auch nahe, das Mobiliar unserer Städte mit Eigennamen zu verzieren, die Möbelhäuser machen es schließlich nicht anders. Trotzdem wundert man sich, dass die für Bänke und Mülleimer zuständigen Beamten in den Bau- und Planungsämtern genauso verführbar sein sollen wie ein Ikea-Kunde. Lassen sie sich wirklich von den schwelgerischen Namen beeinflussen?
Möbel, die nicht altern können
Es spricht einiges dafür. Ein schicker Name dürfte ungefähr so viel wert sein wie ein attraktiv ausgeleuchteter Messestand oder ein gut komponiertes Foto im Produktkatalog. Und das schon allein deshalb, weil das Design selbst viel zu flau ist, um das Flair von Süden, Romantik oder Gediegenheit zu erzeugen. Über die Klassen und Firmen hinweg sehen die allermeisten Stadtprodukte stromlinienförmig, fugenlos perfekt und glatt aus, es dominieren Stahl und glänzende Lacke, und alles wirkt technoid und modernistisch. Zwar fällt die eine Bank strenger, die andere etwas ornamentaler aus, aber insgesamt ist das Formklima auf seine Art genauso homogen wie die Herkunft der Namen.
Die Wartehäuschen, Pflanzschalen und Fahrradparker gelangen somit unter Vortäuschung falscher Design-Anmutungen in den öffentlichen Raum. Und wen sollte es also wundern, dass sie im wirklichen Leben, wo niemand ihre Namen kennt, meist nur wenig Sympathien finden. Anders als alle anderen Designerstücke von Sofas bis hin zu Spaghettizangen sind sie regelrecht ungeliebte Zeitgenossen. Oft wirken sie wie Fremdkörper, hoffnungslos overdressed angesichts ihrer Funktionen. Sie passen nicht ins Freie, wo es Wetter und Jahreszeiten gibt und sich die Dinge Patina zulegen und langsam von der Natur eingeholt werden.
In den Unebenheiten einer verputzten Fassade nisten Moose, Holz verwittert und bleicht aus, zwischen Steinen kann Gras wachsen. All dies ist bei den fugenlosen und sandgestrahlten Möbeln nicht möglich. Sie können kaputtgehen – sonst nichts. Statt gemeinsam mit ihrer Umgebung zu altern und einen einheitlichen Ton anzunehmen, behaupten sie nur stolz ihr immer neues Aussehen.
Genau genommen, zeugen die meisten Stadtmöbel sogar von einer Nichtachtung des Außenraums und seiner Bedingungen, ja sie sind Dokumente einer für die Gegenwart typischen Außenraumvergessenheit, die daraus folgt, dass sich seit rund einem Jahrhundert die meisten Lebensbereiche – das Arbeiten, Handeln, selbst die Politik – ins Innere verlagert haben. Es ist üblich geworden, Plätze wie Zimmer einzurichten und jedem Raumteil eine bestimmte festgelegte Funktion zuzuweisen, statt etwa Freiflächen für Spontanes und Ungeplantes zu lassen. Und emsig bemüht man sich im Außenraum genauso um eine Entlastung der Sinne wie in Wohnzimmern oder Büros. Daraus resultiert dann auch jenes glatt-elegante Design der meisten Fahrradständer, Überdachungen und Bänke, das sich von dem moderner Büroausstattung kaum unterscheidet.
Obwohl also durchaus konkret benannt werden kann, was uns am Mobiliar unserer Städte nicht behagt, bleibt es beim Einheitslook der Produkte. Sollte sich hier das Angebot etwa an der Nachfrage vorbeientwickelt haben? Warum gibt es nirgendwo simple Holzbänke oder Überdachungen mit Ziegeln zu kaufen? Doch auch mit diesem Wahren und Guten wären wir wohl am Ende nicht wirklich zufrieden, schon wegen des so genannten Diderot-Effekts (Grant McCracken) nicht.
In einem Essay hatte der Dichter Diderot 1772 beschrieben, wie sein bescheidenes Lebensglück an dem Tag verloren ging, an dem er von einem Freund einen neuen, schicken Hausrock geschenkt
bekam. Auf einmal merkte er, dass die Dinge in seiner Wohnung, mit denen er bis dahin ganz zufrieden gewesen war, nicht mehr zu dem feineren Outfit passten. Die anspruchslose Harmonie, in der er gelebt hatte, war gestört, und das Alte gefiel Ihm nicht mehr, obwohl ihm das Neue ebenfalls suspekt war.
Sein Strohstuhl und Holztisch, das einfache Brett, auf das er seine Bücher gestellt hatte, dies alles erschien plötzlich schäbig – und musste nach und nach durch besseres Mobiliar ersetzt werden, um der vornehmen Kleidung zu entsprechen. Doch das neue Styling verschlang nicht nur viel Geld; es stellte sich auch nie wieder die ursprüngliche Harmonie ein, da mit jedem weiteren modischen Stück sofort wieder anderes als antiquiert oder zu armselig-harmlos erschien.
Diderot geriet in eine endlose und zermürbende Konsumspirale, vor allem aber fühlte er sich schon bald in der eigenen Wohnung nicht mehr daheim, sondern als Fremder, beherrscht von Dingen, die nicht zu ihm passten und ihm entsprechend leblos und steif, ja völlig steril vorkamen.
Das Merkwürdige an dieser Dynamik ist, dass sie irreversibel ist: Obgleich Diderot sich nie nach etwas Neuem sehnte und auch bald erkannte, dass es, einem Virus ähnlich, seine wohlvertrauten Sachen ihrer Bedeutung beraubte und sie geradezu zerstörte, konnte er sich seiner Magie nicht entziehen. Allein weil es prätentiös auftrat und aus einer gleichsam anderen Welt in das alltäglich Gewohnte einbrach, hatte das Neue auch schon die Autorität, Maßstäbe zu setzen.
Genauso ist modernistisch-schickes Außenmobiliar vor einiger Zeit dominant geworden – gerade weil es eigentlich gar nicht in den öffentlichen Raum passt, sondern viel eher den ästhetischen Normen der Innenraumkultur gehorcht. Als etwas, das im Freien fremd und manchmal fast etwas außerirdisch wirkt, das zugleich aber mit der Aura des Modernen, Zeitgemäßen, Wichtigen versehen ist, vermag das handelsübliche public design ältere Stadtmöbel und seine gesamte Umgebung zu entwerten und seinerseits als die einzig gültige Formensprache erscheinen, selbst wenn so gut wie niemand glücklich damit ist.
So viele alte Abfallbehälter, Blumentröge und Poller aber auch immer durch neue ersetzt werden mögen, es wird zu keiner Harmonie kommen, weil sogleich wieder anderes als veraltet bloßgestellt
wird, das deshalb auch nicht mehr gefallen kann. Was Diderot schon in seinem Zimmer nicht mehr schaffte, nämlich ein Zusammenstimmen der Dinge, das gelingt im öffentlichen Raum, der nie völlig kontrollierbar ist, erst recht nicht.
In der Designspirale
Dabei wird man sich an die Disharmonie, vor allem auch an den Fremdkörpercharakter des Neuen, seine Ausstrahlung von Sterilität, nie gewöhnen wollen, sodass die Kommunalbeamten fortwährend weiteres Mobiliar erwerben, um wenigstens an einigen Plätzen doch noch ein einheitliches Umfeld herzustellen.
Vermutlich wäre es zu böse, den Produzenten von Stadtmobiliar zu unterstellen, dieses mit Kalkül in modernistischem Design entwickelt zu haben, um so jene Konsumspirale in Gang zu setzen, die auf lange Sicht einen Absatz neuer Bänke, Buswartestellen und Abfallbehälter garantiert. Andererseits sprechen für eine solche Unterstellung nicht zuletzt die vielen südlichen Produktnamen. Während sie suggerieren, dass ihr Design etwas mit der Piazza und anderen tradierten Formen des Außenraums zu tun hat, dienen sie eigentlich nur dazu, etwas Fremdes in diesen einzuschmuggeln, das dort eine Kettenreaktion auslöst. Sie führt zu etwas, das in einer Marktwirtschaft sonst als undenkbar gilt: Das Angebot ist von Produkten geprägt, die niemanden begeistern.
Quelle: DIE ZEIT 28.08.2003 Nr.36 http://www.zeit.de/2003/36/Public_Design