Thema verfehlt
Eingeladen war zu einer Veranstaltung mit dem Titel
„Schleichende Veränderung des Stadtbilds – wird Berlin gesichtslos?“
Nun berichtet der Tagesspiegel über diese Veranstaltung unter der Überschrift
„Weniger Stuck, Schnörkel und Ornamente – Verschwinden Berlins schöne Häuserfassaden?“
Es ging tatsächlich nicht um das Stadtbild, sondern nur um Fassadendämmung an denkmalschutzwürdigen Häusern. Schade. Schöne Fassaden sollten selbstverständlich erhalten bleiben, aber sie allein machen nicht das Stadtbild.
Die „schleichende Veränderung des Stadtbilds“ in Richtung Gesichtslosigkeit beruht auf wesentlicheren Merkmalen. Als Beispiel möchte ich die Show-, Protz- und Kulissenarchitektur am Pariser, Leipziger und Potsdamer Platz oder beim Café Kranzler und anderswo nennen, die aus Berlin eine andere Stadt machen. Früher unverwechselbar gestaltete Läden und Gastronomie weichen Konzernfilialen mit global einheitlichem Corporate-Identity-Design.
Die Gaslaternen sollen verschwinden. Sitzbänke im öffentlichen Raum gibt es kaum noch, denn wer sitzen will, soll konsumieren. Zum Stadtbild gehören die Menschen und die Art, wie sie in der Öffentlichkeit agieren. Sehr viele gehen nur noch gesenkten Hauptes durch die Stadt. Nicht, weil die Fassaden hässlich wärmegedämmt wurden, sondern weil das interessantere Leben auf dem Display des Smartphones stattfindet. Nahrungsaufnahme muss immer häufiger im Gehen erledigt werden, für Ruhe fehlt die Zeit – man muss noch schnell die E-Mails checken und die Welt retten.
Die Hochgeschwindigkeits-Multitasking-Gesellschaft von heute hat nichts mit dem Bild von Berlin zu tun, was mir von den ersten Besuchen in dieser wunderbaren Stadt in den 70er Jahren in Erinnerung geblieben ist. Noch ein Beispiel: was ist auf fast allen neuzeitlichen Bildern von Berlin am häufigsten zu sehen? Autos. Die prägen das Stadtbild und die Geräuschkulisse, und der Straßenbau hat Berlin verändert und wird es weiter tun, aber kaum zum Vorteil.
15.01.2014