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Grippe-Pandemie bedrohlicher als Terrorismus?

    Florian Rötzer 12.08.2008

    Die britische Regierung hat ein nationales Risikoregister veröffentlicht, das die Jahre lange Ausrichtung auf den Terrorismus untergraben könnte

    Sicherheitspolitiker stellen gerne den Terrorismus an die Spitze der größten Gefährdungen. Das ist offenbar eine beeindruckende Gefahr, ein Böses mit menschlichem Antlitz, gegen das es womöglich auch bessere Mittel zu geben scheint, als wenn man Naturkatastrophen oder Armut bekämpfen würde. Jetzt erklärt ein Bericht über nationale Risiken, der für das britische Kabinett verfasst wurde, dass nicht Terrorismus, sondern eine Grippen-Pandemie die gefährlichste Bedrohung darstellen würde.

    Man lebt auf der anderen Seite in den westlichen Staaten so gut mit dem Terrorismus, dass man die Gefährdungsstufen lieber gar nicht erst aktuellen Information anpasst, sondern sie, wie in den USA oder Großbritannien, immer beibehält. Damit scheint man immer an die weiterhin mögliche Gefahr und die Notwendigkeit von Antiterrormaßnahmen erinnert zu werden, während die gleichbleibende Warnung eher als ein Wechsel auch nicht mehr wirklich auffällt und ins Vergessen gerät. Gleichzeitig aber können die Sicherheitskräfte, sollte sich wirklich ein neuer Anschlag ereignen, immer sagen, sie hätten ja unverdrossen davor gewarnt.

    Die britische Regierung hat im Rahmen der Nationalen Sicherheitsstrategie eine offizielle Liste von Risiken zusammenstellen lassen, das National Risk Register, das erstmals, basierend auf dem geheim gehaltenen National Risk Assessment (NRA), veröffentlicht wurde. Mit der Liste der gefährlichsten Bedrohungen sollen sich Behörden, Institutionen und Privatpersonen besser auf mögliche Katastrophen vorbereiten können.

    Danach würde eine Grippen-Pandemie weitaus mehr Opfer als jede Art eines Terroranschlags verursachen. Wenn eine solche ausbrechen würde, könnte die Hälfte der Bevölkerung infiziert werden und 50.000 bis zu 750.000 Menschen daran sterben – und es sei keine Frage, ob sie ausbrechen werde, sondern nur wann. Es könnten aber auch neue gefährliche Infektionskrankheiten entstehen, wie dies unlängst beispielsweise SARS* gezeigt habe.

    Vermieden wurde allerdings, die 10 größten Risiken in eine Top-Ten-Reihe zu bringen, man begnügte sich damit, ihre relativen Folgen und ihre relative Wahrscheinlichkeit darzustellen. Dadurch wird die Grippeendemie zwar zum größten Risiko, was die Folgen betrifft, wahrscheinlicher aber werden Anschläge auf dicht bevölkerte Plätze, elektronische Angriffe (allerdings mit den geringsten Folgen) und an erster Stelle Anschläge auf Transportmittel angesetzt.

    Als unwahrscheinlicher als Anschläge, aber mit schwereren Folgen gelten auch Industriekatastrophen oder Flutkatastrophen im Inland oder an den Küsten. Sie gelten wiederum als ähnlich wahrscheinlich wie Anschläge mit biologischen, chemischen oder radioaktiven Waffen. Ähnlich wahrscheinlich wie eine Grippenendemie sind als Folgen der Klimaerwärmung auch extreme Wetterereignisse (Hitzewellen, Dürren, Stürme, Kälte) angesetzt.

    Interessant mag angesichts der nuklearen Ausbaupläne der britischen Regierung erscheinen, dass bei den Industriekatastrophen Brände, Stromausfall, Treibstoffknappheit, Kontamination von Wasser und Luft erwähnt werden, nicht aber Unfälle in Atomkraftwerken. Obgleich Großbritannien hier durchaus auch eigene Erfahrungen hat und zudem einige der ältesten AKWs betreibt, wird nur auf Tschernobyl kurz verwiesen in dem Sinne, dass man sich auf solche Katastrophen im Ausland vorbereiten müsse. Lieber hält man sich insgesamt bei den terroristischen Bedrohungen auf, die ja, so bestätigt man sich gewissermaßen selbst, hoch sind, was man an der Bedrohungsstufe „severe“ sehen könne, die bedeute, dass Anschläge jederzeit möglich sind. Andererseits scheint sich nicht mehr vermeiden zu lassen, dass die seit 2001 fast ausschließliche Fixierung auf den Terrorismus sich nun neben anderen Gefahrenquellen einreihen muss, die mit militärischen Mitteln und dem Ausbau der Überwachung kaum zu bekämpfen sind.

    Die Frage bleibt allerdings, ob ausgerechnet eine Grippe-Pandemie tatsächlich die größte Gefährdung darstellt, schließlich wird davor auch seit vielen Jahren gewarnt.

    Quelle: Telepolis Artikel http://www.heise.de/tp/r4/artikel/28/28498/1.html

    *) Anmerkung: SARS-CoV war 2002 – 2003; SARS-CoV-2 entstand 2020 (Corona-Pandemie)

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