Doppelblindes Experiment wirft viele Fragen auf
Die Experten, die über die möglichen gesundheitlichen Gefahren der elektromagnetischen Wellen urteilen, nehmen sehr gegensätzliche Positionen ein. Ihre Aussagen reichen von völlig unschädlich bis hin zu sehr gefährlich, doch stehen hinter den meisten Behauptungen nur wenig verlässliche Untersuchungsergebnisse.
Die meisten Studien zu diesem Thema würden bisher nicht am komplexen System Mensch, sondern an Zellen, Gewebeproben und (kleinen) Versuchstieren durchgeführt. Es bleibt daher fraglich, wie weit die gewonnen Ergebnisse überhaupt auf den Menschen übertragen werden können. Wirkungen auf den Organismus sind mit ziemlicher Sicherheit zu erwarten, wenn die elektromagnetische Strahlung direkt und mit großer Intensität in das Gewebe eindringt und es erwärmt oder erhitzt. Durch den Vormarsch der neuen Kommunikatonstechnologie mit ihren miniaturisierten Geräten stellt sich jedoch zunehmend die Frage nach der gesundheitlichen Auswirkung auch schwacher Ausstrahlungen.
Dr. Klaus Mann und Privatdozent Joachim Röschke von der Psychiatrischen Klinik und Poliklinik der Universität Mainz sind deshalb in einem Experiment nachgegangen, ob und wo die „Berieselung“ mit den WeIlen eines Mobiltelefons den Schlaf und die Hirnstromwellen beeinflußt. Der Schlaf bietet sich als „Einfallstor“ für die Wirkung elektromagnetischer Strahlen an, weil er durch ein fein ausbalanciertes Zusammenspiel von zentralnervösen Prozessen gesteuert wird, das leicht durch äußere Einflüsse gestört werden kann. 14 gesunde männliche Versuchsteilnehmer wurden dafür im Schlaflabor einquartiert und ihre Hirnstromwellen gemessen, wie die Forscher in ,,Neuropsychobiology“(1/1996) berichten. In 40 Zentimetern Abstand vom Kopf der Schläfer wurde ein Mobiltelefon angebracht, das im Verlauf der gesamten acht Stunden Bettruhe immer wieder Pulse auf der Frequenz von 900 Megahertz mit Sendeleistungen bis zu acht Watt ausstrahlte. Das übertraf zwar die Länge üblicher Telefongespräche ganz wesentlich, doch befindet sich beim alltäglichen Gebrauch das Handy näher am Körper, weshalb seine Leistungsabgabe dort auch stärker wirkt.
Das von der Deutschen Telekom geförderte Experiment wurde „doppelblind“ durchgeführt, was heißt. dass das Telefon nur in einer von zwei Versuchsnächten eingeschaltet war und weder die Versuchsteilnehmer noch die Auswerter darüber Bescheid wussten. Dabei zeigte sich im Endeffekt, dass das aktive Handy eine einschläfernde Wirkung hatte: Es verringerte sich die Frist vom Schließen der Augen bis zum Einschlafen von 12,25 auf durchschnittlich 9,5 Minuten. Nachher fühlten sich die Versuchsteilnehmer zudem ruhiger, wussten aber nicht, ob sie „bestrahlt“ worden waren oder nicht.
Ein weiterer kritischer Haupteffekt bestand darin, dass das sendende Handy die Zeitspanne bis zum Eintritt der ersten, von Träumen begleiteten REM-Phase verringerte und den Anteil der REM-Phasen an der gesamten Schlafdauer von 17 auf unter 14 Prozent herabsetzte. Speziell im REM-Schlaf erhöhte sich auch die Ausschlagsweite (Amplitude) der Hirnstromkurven, was anzeigte, dass mehr Nervenzellen im gleichen Takt Impulse abfeuerten und daher nicht für die Verarbeitung komplexer Daten zur Verfügung standen.
Es gibt zwar noch keine allgemein anerkannte Theorie über die Funktion der REM-Phasen, doch sprechen viele Befunde dafür, dass im Traum neue Informationen sortiert, mit alten verglichen und im Langzeitgedächtnis abgespeichert werden. Man muß also durchaus die Möglichkeit erwägen, dass sendende Mobiltelefone „Traumkiller“ sind und Störungen beim Lernen und Erinnern verursachen. Deshalb sollte vordringlich überprüft werden, ob solche Geräte die menschliche Wahrnehmung beeinflussen können.
Rolf Degen (df) MN 3/96 S. 42
Siehe auch
Vertreiben Mobiltelefone die Träume?
(DIE WELT)