Mancur Olson war einer der überraschendsten Ökonomen der Gegenwart. Er konnte sich so ausdrücken, dass ihn auch Laien verstanden, er hatte Witz, und er beeinflusste die Wirtschaftswissenschaft nachhaltig.
Kurz nach dem Ende der Sowjetunion sagte er auf einem Symposium des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel, ihn interessiere weniger, warum der Kommunismus untergegangen sei, denn dies sei ja zu erwarten gewesen. Viel spannender sei die Frage, warum er sich so lange habe halten können.
Seine These: Die stalinistische Planwirtschaft sei ein besonders effektives System der Steuereintreibung und der Ausbeutung der Bürger gewesen. Sein Untergang habe damit begonnen, dass die Steuerbüttel des Systems, die Betriebe, sich von ihrem Auftraggeber, dem Zentralkomitee der Partei, emanzipiert hätten.
„Die Entstehung: des Staates im allgemeinen erklärte Olson so: In den alten Zeiten seien die Menschen immer wieder das Opfer umherziehender Räuber (roving bandits) gewesen. Irgendwann hätten sich einzelne Räuber dazu entschlossen, sesshaft zu werden. Diese „niedergelassenen Räuber“ (stationary bandits) hätten ein größeres Interesse am Wohlergehen ihrer Opfer gehabt und stellten daher einen historischen Fortschritt dar: die Keimzelle des Staates.
Die Beispiele zeigen: Mancur Olson, der an der Universität von Maryland in den Vereinigten Staaten lehrte, befasste sich mit dem Grenzbereich zwischen Ökonomie, Politologie und Soziologie – und dabei besonders mit der Rolle, die Institutionen in der Wirtschaft spielen. Im Jahre 1965 veröffentlichte er seine „Logik kollektiven Handelns“ – eine bahnbrechende politische Ökonomie der Interessengruppen: Danach sind kleine Gruppen schlagkräftiger als große, weil der einzelne in der großen Gruppe weniger Anreize hat, sich zu engagieren. Deshalb verfügten etwa Verbraucher nur über eine schwache Lobby in der Wirtschaft – im Gegensatz zu Bauern.
1982 erschien sein Buch „Aufstieg und Fall von Nationen“, in dem er versuchte, die damalige Stagnation der Wirtschaft in den Industrieländern zu erklären. Seiner Meinung nach begünstigen lange Perioden des Friedens und des Wohlstands jene Gruppen, die am Erreichten festhalten wollen – es entsteht eine Gesellschaft, die vor allem den Ertrag vergangener Anstrengungen einstreichen will, eine „rent seeking society“. Nach Olsons Meinung bilden die „Institutionen und ordnungspolitischen Regelungen in einem Land die Hauptdeterminanten für die Höhe des Pro-Kopf-Einkommens“
Der unkonventionelle Professor wurde immer wieder als Kandidat für den Wirtschaftsnobelpreis genannt. Am Donnerstag voriger Woche erlag Mancur Olson, wie erst jetzt bekannt wurde, im Alter von 66 Jahren einem Herzinfarkt.
Nikolaus Piper, Süddeutsche Zeitung, Freitag, 27. Februar 1998
Quelle: https://alchetron.com/Mancur-Olson
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