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Schuldenfalle Eigenheim

    Mit historisch niedrigen Kreditzinsen werden Verbraucher zum Bau einer Immobilie überredet. Doch die vermeintlich günstige Finanzierung birgt viele Gefahren

    Von Thomas Hammer – DIE ZEIT

    Arbeitslosigkeit, Scheidung, zu viele Kredite für zu viel Konsum – Gründe wie diese werden meist herangezogen, wenn in Deutschland über die Überschuldung von Privatpersonen gesprochen wird.

    Mehr als drei Millionen Haushalte gelten als überschuldet, wie es dem Schuldenbericht des Bundesfamilienministeriums in seiner derzeit vorliegenden Fassung zu entnehmen ist. Eine Zahl, die sich auf das Jahr 2002 bezieht und die 15 Prozent über dem Vergleichswert des Jahres 1999 liegt. Eine Zahl, die – wie oft übersehen wird – in zunehmenden Maß auch auf den weit verbreiteten Wunsch nach einem Eigenheim zurückzuführen ist. Denn auch die Baufinanzierung, die lange Jahre stabil kalkulierbar schien, hat sich mittlerweile zu einem ernsthaften Risiko entwickelt. Was Sicherheit schaffen soll, führt zunehmend in die Schuldenspirale.

    „Pro Jahr steigt derzeit im Schnitt die Zahl der Beratungsgespräche wegen fehlgeschlagener Baufinanzierungen um zehn bis fünfzehn Prozent“, sagt Gundolf Meyer, Schuldenberater für Immobilienfinanzierungen bei der Schuldnerhilfe Köln. Allein im vergangenen Jahr suchten dort fast 400 in Not geratene Immobilieneigentümer Rat. Die Probleme ziehen sich dabei durch alle Einkommensschichten, so Meyers Beobachtung.

    Selbst im Bundesland der Häuslebauer, in Baden-Württemberg, meldet die Verbraucherzentrale zunehmenden Beratungsbedarf wegen notleidender Baufinanzierungen: Seit Oktober bietet sie deshalb spezielle Termine für Bauherren in finanziellen Schwierigkeiten. Von Einzelfällen ist schon längst nicht mehr die Rede: Eine Umfrage des Schuldnerfachberatungszentrums der Universität Mainz bei 33 Schuldnerberatungsstellen ergab, dass im Schnitt bei 15 bis 20 Prozent der Beratungen eine aus dem Ruder gelaufene Baufinanzierung mit im Spiel ist.

    Zahlreiche Nebenkosten treiben den Kaufpreis in die Höhe

    Das vorgeblich so sichere Eigenheim birgt im schlimmsten Fall das Risiko des finanziellen Ruins in sich. Wer unter dem Druck der Schulden und der drängenden Gläubiger seine Immobilie verkaufen oder gar zwangsversteigern muss, ist nicht in jedem Fall aus der Sache raus: „Oft bleiben am Ende Restschulden in Höhe von 50000 bis 100000 Euro übrig“, sagt Schuldnerberater Meyer. Dann stehen die einstigen Eigentümer nicht nur ohne Wohnung da. Dann müssen sie zusätzlich auch noch einen hohen Betrag abstottern. Rate für Rate.

    Bei den Ursachen der Finanzierungskrise, die aus der Altersabsicherung eine Schuldenfalle werden lässt, handelt es sich nicht mehr nur um die schlimmen, aber klassischen Schicksalsschläge wie den Tod des Hauptverdieners, eine Scheidung oder die Langzeitarbeitslosigkeit. Ein neuer, entscheidender Faktor ist hinzugekommen. Anders als jene, die sich beim Bauen in den sechziger oder siebziger Jahren bis über die Halskrause verschuldeten und heute zumeist stolze Besitzer schuldenfreier Eigenheime sind, können die Bauherren der Gegenwart auf eines nicht mehr zurückgreifen: die stillen Tilgungshelfer früherer Jahrzehnte.

    „Der heutige Bauherr kann nicht mehr voraussetzen, dass ihm ein steigendes Einkommen schon mittelfristig bei der Tilgung hilft“, warnt Peter Sachs, vereidigter Sachverständiger für Baufinanzierung in Bad Homburg.

    Vor einigen Jahrzehnten funktionierte das noch – so stieg von 1970 bis 1975 der durchschnittliche Bruttoverdienst der Angestellten um 66,3 Prozent. Von 1999 bis 2004 betrug dagegen im Westen der Anstieg nur noch 16,3 Prozent. Damit dauert es heute im Schnitt sehr viel länger, bis ein Bauherr nach dem Abschluss einer eng kalkulierten Finanzierung wieder Luft zum Atmen kriegt. Dazu kommt das Risiko des Arbeitsplatzverlustes, das heute so groß ist wie selten zuvor in der Nachkriegsgeschichte. Und selbst wenn im Fall der Fälle rasch wieder eine neue Stelle gefunden wird, kann noch keine Entwarnung gegeben werden – dass der neue Verdienst niedriger ist als der vorherige, ist heute keine Seltenheit mehr. Auf diese Weise kann ein Finanzierungskonzept ohne ausreichende Reserven leicht ins Wanken kommen.

    Auch die Annahme, dass, wie in früheren Zeiten, ein Gewinn erzielt wird, wenn das Eigenheim nach ein paar Jahren wieder verkauft werden muss, deckt sich nicht mehr mit der heutigen Realität. Stiegen in den späten siebziger Jahren die Immobilienpreise noch um durchschnittlich fünf Prozent pro Jahr, verzeichneten viele Regionen Deutschlands in den vergangenen zehn Jahren stagnierende oder sogar rückläufige Preise. Es ist diese Entwicklung, die dazu geführt hat, dass selbst der Ausstieg aus einer Immobilie nicht mehr zwangsläufig als Ausweg aus der Überschuldung taugt.

    Dass solche Finanzierungsrisiken von den Bauherren der heutigen Generation allzu oft verdrängt werden, liegt sicherlich auch mit an den Erfolgen der vorigen Generation. Wer sich davon blenden lässt oder glaubt, mit genügend Tatkraft und Optimismus lasse sich das Risiko schon irgendwie beherrschen, agiert blauäugig. „Eine häufige Ursache für das Scheitern einer Baufinanzierung liegt schon darin, dass die Gesamtkostenbelastung unterschätzt und die eigene Finanzkraft überschätzt wurde“, sagt Markus Lietz von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg.

    Nur 322 Euro monatlich für ein Fertighaus

    So ist die Finanzierung des reinen Kaufpreises immer nur ein Teil des ganzen Paketes. Schon die obligatorischen Kaufnebenkosten in Form von Grunderwerbsteuer und Notargebühren summieren sich auf rund fünf Prozent, dazu kommen möglicherweise weitere Ausgaben für Renovierung oder Einrichtung.

    Beim Neubau mit dem Architekten sprengen oft spontane Sonderwünsche oder nicht eingehaltene Kostenpläne das Budget. Dazu kommen die laufenden Nebenkosten, die für Hauseigentümer weit höher sind als für Mieter einer Eigentumswohnung. Grund dafür ist nicht nur die größere zu bewirtschaftende Fläche, sondern auch die Tatsache, dass der Eigentümer im Gegensatz zum Mieter für die Instandhaltungsrücklagen selbst aufkommen muss. Wenn dann keine Reserven im Finanzierungsplan enthalten sind, kann es ganz schnell eng werden.

    Trotz dieser Risiken wird für die Baufinanzierung kräftig geworben. Manche Anbieter versuchen dabei, mit so genannten Finanzierungsschutzbriefen das Gefühl zu vermitteln, dass auch in schwierigen Lebenslagen eine finanzielle Sicherheit gegeben ist (siehe Kasten). Richtig gefährlich kann es werden, wenn in Modellrechnungen vorgegaukelt wird, dass unterm Strich die Kreditfinanzierung des Eigenheims kaum teurer als das Wohnen in Miete ist.

    Eine geradezu abenteuerliche Rechnung stellte unlängst die Discounter-Kette Plus in ihrer Werbung für ein „Drei-Liter-Traumhaus“ des Fertighausherstellers Libella auf. Angeblich sollte das im Heizölverbrauch als sparsam beschriebene Fertighaus für 322 Euro pro Monat finanzierbar sein. Doch um den Zins optisch zu drücken, wurde ein variabel verzinstes Darlehen angesetzt, das den Bauherren umso teurer kommt, wenn die Zinsen steigen. Beim Förderdarlehen der KfW wurde die spätestens nach fünf Jahren fällige Tilgung für die optisch günstige Anfangsrechnung nicht berücksichtigt, und als finale kosmetische Aktion zogen die Supermarkt-Finanzexperten einfach die Eigenheimzulage von der eigentlichen Kreditrate ab. Die Stiftung Warentest bezeichnet die Offerte als „dreisten Köder“.

    Zwar lesen sich die Finanzierungsangebote von Banken zumeist weitaus seriöser, doch schon in den Standardmodellen lauern Fallen – paradoxerweise gerade wegen der derzeit extrem niedrigen Zinsen. Dafür gibt es zwei Gründe: das Risiko steigender Zinsen und die langsame Tilgung bei Niedrigzins-Finanzierungen.

    Schnellere Tilgung bringt finanzielle Vorteile

    Je niedriger der aktuelle Zins im Vergleich zum langfristigen Durchschnitt ist, umso größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass er nach dem Auslaufen der Zinsbindung in acht, zehn oder fünfzehn Jahren deutlich höher ist als heute. Das kann konkret bedeuten: Wenn heute ein zehnjähriger Baukredit mit vier Prozent Zins und einem Prozent Anfangstilgung abgeschlossen wird, sind in zehn Jahren erst zwölf Prozent der Schulden getilgt. Liegt dann der Zins bei sieben Prozent, steigt die Monatsrate trotz der inzwischen etwas niedrigeren Schulden um 54 Prozent an.

    Dazu kommt, dass gerade wegen der verhältnismäßig niedrigeren Raten die Tilgung nur schleppend in Gang kommt. Weil jedes Jahr von den Schulden ein Stückchen getilgt wird und in der Folge der auf die Restschulden zu zahlende Zinsbetrag sinkt und innerhalb der fixen Monatsrate langsam an Gewicht verliert, nimmt der Tilgungsanteil immer mehr zu. Bei einem höheren Zinssatz geht dieser Wandel schneller vonstatten. In diesem Fall ist die Monatsrate zwar vergleichsweise hoch, der Tilgungsanteil innerhalb der fixen Monatsrate steigt jedoch schneller – die Schuld ist früher bezahlt. So wäre bei einem Prozent jährlicher Anfangstilgung ein mit neun Prozent verzinstes Darlehen in 26 Jahren vollständig beglichen, während bei gleichem anfänglichen Tilgungsanteil und vier Prozent Zins die Laufzeit 40 Jahre beträgt.

    Finanzierungsexperte Sachs rät daher, die aktuellen Niedrigzinsen nicht zu Einsparungen bei der Ratenhöhe, sondern für eine von Beginn an höhere Tilgung zu nutzen. „Eine jährliche Gesamtbelastung von sechs bis sieben Prozent des Darlehens sollte auf jeden Fall tragbar sein“, sagt er. Das bedeutet, dass als Minimum eine Anfangstilgung von zwei Prozent pro Jahr eingerechnet werden sollte. Wenn dann im Finanzierungsplan alle Kaufnebenkosten eingerechnet werden, der höhere finanzielle Aufwand für die laufenden Betriebskosten und Rücklagen berücksichtigt wird und schließlich noch ein paar Reserven für schlechte Zeiten zur Verfügung stehen, sind zumindest die größten Risiken der Baufinanzierung eliminiert.

    Quelle: DIE ZEIT 28.04.2005 Nr.18 http://www.zeit.de/2005/18/G-Baufinanzierung

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