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Das Eigenheim im Grünen — Hat dieses Wohn-Modell eine Zukunft?

    Von Dr. Marcus Menzl für Naturschutzbund Deutschland

    Über Jahrzehnte hinweg galt das suburbane Eigenheim mehr oder weniger alternativlos als die adäquate Wohnform für junge Mittelschicht-Familien. Es lockte mit einem kindgerechten Wohnumfeld (Freiräume, Sicherheit, eigener Garten), wohnungsnahen Grün- und Erholungsflächen, einem hohen Maß an sozialer Homogenität und der vergleichsweise preisgünstigen Möglichkeit, Wohneigentum zu bilden.

    Mit dieser Wohnform waren (und sind bis heute) moderne, (vor-)städtische Lebensmodelle verbunden, als deren Eckpfeiler die räumliche Trennung von Wohn- und Arbeitsort, die Rollenverteilung zwischen Mann und Frau, die Autoorientierung bei der Abwicklung der alltäglichen Mobilität und wohlstandsbasierte Konsummuster angesehen werden können.

    Leben im Grünen steht im Widerspruch zur gesellschaftlichen Entwicklung

    Es steht außer Frage, dass das Wohnideal des „Eigenheims im Grünen“ und damit verbunden das traditionelle suburbane Wohn- und Lebensmodell auch heute noch auf nennenswerte Nachfrage trifft. Allerdings geraten einige der wichtigsten Grundlagen, auf denen das „klassische“ suburbane Wohn- und Lebensmodell basiert, zunehmend in Widerspruch zu gegenwärtigen gesellschaftlichen Entwicklungsprozessen:
    * Standardisierte Beschäftigungsverhältnisse mit gesicherten Einkommen werden immer seltener,
    * die geschlechtsspezifische Rollenverteilung wird in Frage gestellt,
    * linear verlaufende „Normalbiographien“ werden zunehmend zu einem Relikt aus vergangenen Zeiten,
    * die Lebensentwürfe speziell von Frauen haben in den letzten Jahrzehnten erheblich an Komplexität hinzugewonnen.

    Suburbane Räume (genau wie Städte oder Dörfer) weisen vielfach sehr spezifische alltagspraktische und normative Strukturen auf, in denen sich die jahrzehntelange Dominanz eines Entwicklungsmusters widerspiegelt. Diese Strukturen sind weder neutral noch beliebig gestaltbar bzw. kompensierbar, sondern gerade für junge Familien, die in hohem Maße nahraumabhängig sind, prägend. Individuen (und besonders Mütter) mit Lebensentwürfen, die von dem „klassisch suburbanen Muster“ abweichen, sehen sich oftmals mit Rahmenbedingungen konfrontiert, die eher blockierend denn ermöglichend wirken und die Umsetzung dieser Lebensentwürfe erheblich erschweren.

    Als Beispiele für solche restriktiven Rahmenbedingungen können genannt werden:
    * Stark eingeschränkte Betreuungsmöglichkeiten für Kinder (z.B. fehlende Krippen, unflexible und eng begrenzte Betreuungszeiten),
    * fehlende berufliche Möglichkeiten bzw. Beratungs- und Weiterbildungsangebote,
    * das geringe Angebot an (halb-) öffentlichen Kommunikations- und Treffmöglichkeiten, die unterhalb der Verbindlichkeit von Vereinsaktivitäten liegen.

    Wie wirkt sich der Umzug auf einzelne Familienmitglieder aus?

    Vor diesem Hintergrund gewinnt die Frage eine besondere Bedeutung, wie der Alltag von jungen Familien nach ihrem Umzug ins suburbane Eigenheim verläuft. Während über die Motive, die hinter der Entscheidung für einen Umzug an den Stadtrand stehen, weitgehend Klarheit herrscht, gehört die Frage, wie sich die durch den Wohnortwechsel veränderten räumlichen und sozialen Parameter auf den Alltag der einzelnen Haushaltsmitglieder auswirken, zu den in der Suburbanisierungsforschung am stärksten vernachlässigten Aspekten. Erfüllen sich die oftmals weit reichenden Erwartungen, die mit dem Umzug verknüpft werden? Können die angestrebten Lebensentwürfe verwirklicht werden?

    Empirisch überprüft wurden diese Fragen im Zuge eines zweijährigen Forschungsprojektes für eine spezifische Konstellation, die zwar nicht repräsentativ ist für die sich ausdifferenzierende Suburbia, die jedoch als „klassisch“ gelten kann: Eine junge Familie zieht in ein Eigenheim in einer suburbanen Gemeinde; diese Gemeinde – das 25 km nördlich von Hamburg gelegene und rund 26.000 Einwohner fassende Henstedt-Ulzburg – zeichnet sich durch ein langjähriges Wachstum mit selektivem Charakter aus, so dass im Ergebnis ein sehr hoher Anteil an Ein- und Zweifamilienhäusern, viele Familien mit Kindern, eine relativ hohe Kaufkraft sowie wenig Ausländer oder Arbeitslose zu beobachten sind. Wie sieht nun der Alltag zugezogener Familien in einer solchen Gemeinde aus?

    Spielmöglichkeiten und Betreuung für die Kinder sind wichtige Faktoren bei der Neuorientierung der Frauen

    Zunächst fällt auf, dass die klassische Rollenteilung zwischen den Geschlechtern in Henstedt-Ulzburg noch in hohem Maße die Alltagsmuster prägt – dementsprechend wird hier zwischen dem Alltag der Frauen und der Männer unterschieden. Speziell der Alltag der Frauen weist einige sehr weit reichende Herausforderungen auf. So ist erstens vielfach festzustellen, dass der Umzug und damit die mehr oder weniger vollständige Aufgabe der bisherigen sozialen und räumlichen Bezüge nahezu zeitgleich mit der Familiengründung und dem Ausstieg aus der Erwerbsarbeit erfolgt.

    Die Frauen stehen also vor der Aufgabe, ihr Leben weitgehend neu auszurichten. Aufgrund ihrer Kinder sind Mütter zweitens relativ stark auf die Gegebenheiten des Nahraums angewiesen: Spielmöglichkeiten, Kinderbetreuung, Vernetzungsangebote. Diese Nahraumorientierung bietet ihnen die Chance, eine intensive soziale Ortsbindung aufzubauen, sie bringt jedoch auch Abhängigkeiten und Zwangssituationen mit sich, mit denen die Frauen sich arrangieren müssen (z.B. begrenzte, unpassende oder unflexible Angebote an Kita-Plätzen, Treffpunkten, Jobs; lokale Normen und Standards, die nur schwer ignoriert werden können).

    Eine dritte Herausforderung wird von Müttern darin gesehen, dass sie am neuen Wohnort aufgrund des Fehlens der Erwerbsarbeit und der bisherigen sozialen Bezüge ganz auf ihre Mutterrolle reduziert werden – dies umso mehr, da neue Kontakte meist über die Kinder gefunden werden. Die Sorge ist, wider der eigenen Absicht in die für Suburbia klassische Rolle der Mutter und Hausfrau hineinzurutschen und dort zu „versacken“.

    Schließlich wird viertens immer wieder auf die strukturellen Schwierigkeiten hingewiesen, den beruflichen Wiedereinstieg zu organisieren: Der alte Arbeitgeber ist oft zu weit weg, vor Ort finden sich häufig nicht die den eigenen Qualifikationen entsprechenden Jobs, die Kinderbetreuung ist vielfach nicht in den gewünschten Zeitfenstern sicher gestellt und kann auch nicht durch Verwandte erfolgen, da diese in der Regel nicht in räumlicher Nähe wohnen.

    Herausforderungen des Alltags von Männern in Suburbia

    Ganz anders stellt sich die Situation bei den Männern dar: Die zentrale Herausforderung besteht für sie darin, ein Leben in zwei Welten zu führen. Auf der einen Seite steht die kontinuierlich fortgeführte Erwerbsarbeit. Damit verbunden laufen auch die gewohnten räumlichen und sozialen Bezüge weiter.

    Auf der anderen Seite gibt es mit dem Wohnort eine zweite Welt, die der Familie und der Erholung gewidmet ist. Zwischen diesen beiden Welten bestehen vielfach wenig Verbindungen. Dies hat unter anderem zur Folge, dass Männer oftmals nur sehr langsam Bindungen an den neuen Wohnort aufbauen. Während die Frauen schon aufgrund des pragmatischen Motivs der besseren Alltagsorganisation als Netzwerkerinnen auftreten, werden Männer häufig allenfalls über die Frauen „mitintegriert“. Als belastend wird die Spaltung des Lebens in zwei getrennte Welten mitunter auch deshalb erlebt, da der Alltag der Partnerin in der suburbanen Nachbarschaft nicht mehr wirklich nachvollzogen werden kann – ein Interviewpartner sagte, er komme sich beim Zuhören der Erzählungen seiner Frau oftmals „wie in einem schlechten Film“ vor.

    Muster des Umgangs mit den Herausforderungen

    Wie wird nun mit den beschriebenen Herausforderungen umgegangen? Zielsetzung der zugezogenen Personen ist es, jeweils Alltagsarrangements zu finden, die dauerhaft tragfähig sind und als konsistent empfunden werden. Beim Zustandekommen solcher Alltagsarrangements sind vier Faktoren von entscheidender Bedeutung:
    * Die vielfältigen sowie an unterschiedlichen zeitlichen und funktionalen ‚Logiken‘ ausgerichteten Anforderungen des Alltags.
    * Die ortsspezifischen Möglichkeitsstrukturen, d.h. die Optionsräume und Rahmenbedingungen des jeweiligen Wohnortes (z.B. Kinderbetreuungsangebote, Arbeitsplätze, Beratungs- und Fortbildungsmöglichkeiten, Treffpunkte etc.).
    * Die individuellen Fähigkeiten und Ressourcen zur Bewältigung des eigenen Lebens, über die die jeweilige Person verfügt (von Kontaktfähigkeiten, Empathie und sozialen Netzen, über Wissen, Reflexionsfähigkeit und Berufsqualifikationen bis hin zu Geld und Auto).
    * Der Lebensentwurf, d.h. die normativen Orientierungen der jeweiligen Person, die sich zu Vorstellungen vom „richtigen Leben“ verdichten und schließlich in den für das eigene Leben wichtigen Weichenstellungen und Festlegungen ihren Ausdruck finden.

    Ob es gelingt, dauerhaft zufrieden stellende Alltagsarrangements zu bilden, hängt von dem individuellen Geschick ab, die vier genannten (teilweise objektiven, teilweise subjektiven) Faktoren miteinander in Einklang zu bringen.

    Es gibt weder Gewinner noch Verlierer

    Alltagsarrangements entstehen im Zusammenwirken objektiver und subjektiver Faktoren. Auch wenn die spezifischen Strukturen des Wohnorts keineswegs folgenlos für den realen Alltag bleiben, ist es nicht möglich, aus der Struktur der suburbanen Gemeinde verallgemeinernde Schlussfolgerungen zur Alltagssituation der Bewohner zu ziehen. Die häufig formulierten positiven oder negativen räumlichen Determinismen im Bezug auf das „Eigenheim im Grünen“ sind als weitgehend spekulativ und wissenschaftlich wenig überzeugend einzuschätzen.

    Weder sind die Männer noch die Frauen automatisch „Umzugsgewinner“ oder „Umzugsverlierer“ – auch wenn in aller Regel der (wohn-) biographische und alltagspraktische Bruch, den die Frauen (bzw. Mütter) vollziehen, wesentlich einschneidender ist als der der Männer. Unter den interviewten Haushalten fanden sich z.B. sowohl Mütter, die ihren Alltag mit viel Geschick den ortsspezifischen Gegebenheiten anpassten und sich dabei beruflich und sozial neu orientierten, als auch Mütter, die längere Phasen der Verunsicherung und Orientierungslosigkeit durchliefen und ihre neue Wohn- und Lebenssituation vor allem als defizitär wahrnahmen.

    Bleibt das Haus im Grünen eine attraktive Wohnoption?

    Insgesamt deutet sich an, dass der Kreis derjenigen Haushalte, auf die das suburbane Wohn- und Lebensmodell ohne Abstriche und weit reichende Kompromisse passt, kleiner wird. Es ist absehbar, dass in Zukunft die stadtregionalen Wohnstandorte mit überzeugenden „Gesamtpaketen“, d.h. mit differenzierten und flexibel anpassbaren Angeboten für alle Bereiche des Alltags (und für alle Haushaltsmitglieder), in der sich verschärfenden Konkurrenz um die – demographisch bedingt – knapper werdenden jungen Familien erhebliche Vorteile haben werden.

    Auch suburbane Gemeinden stehen daher vor der Aufgabe, ihr Profil weiterzuentwickeln, wenn sie dauerhaft als Wohnstandort attraktiv bleiben wollen. Sie werden sich erneuern und dabei an einem breiteren und weniger statischen Spektrum von Lebenslagen und Lebensentwürfen orientieren müssen. Nur wenn es gelingt, den komplexer werdenden alltäglichen Anforderungen der Bewohner und ihren sich ausdifferenzierenden Lebensentwürfen mit adäquaten Angeboten zu begegnen, wird das „Eigenheim im Grünen“ eine attraktive Wohnoption für junge Familien bleiben.

    Quelle: NABU – (Naturschutzbund Deutschland) e.V. Mai 2009

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