Architektur-Streit in England
Von Jürgen Krönig – ZEIT ONLINE – 21.04.2009
Der britische Thronfolger streitet gegen ein Architektur-Projekt. Berühmte Architekten tadeln den Adeligen, Kommentatoren schimpfen – der Kampf der Kulturen eskaliert
Prinz Charles hat mal wieder Grund, über den Mangel an Respekt zu klagen; die einstige „culture of deference“, die Kultur der Unterwürfigkeit, ist auch in Großbritannien längst rüder Respektlosigkeit gewichen. „Shut up or step down“, „Halt den Mund oder tritt zurück“ heißt es heute im Leitartikel des Guardian. Das Blatt, so etwas wie das Zentralorgan des linksliberalen Kultur-Establishments, mag insgeheim hoffen, seine scharfe Kritik am britischen Thronfolger werde nicht nur auf breite öffentliche Sympathie stoßen, sondern zugleich die ungebrochene Popularität der Monarchie erschüttern helfen, gegen die man seit Jahrzehnten vergeblich Sturm gelaufen ist.
Auf den ersten Blick scheint der Fall klar: Der Prinz hat sich in eine Debatte über ein Architekturprojekt eingemischt, obwohl er streng genommen nur würdig zu schweigen hat. Schlimmer noch, er scheint seine Beziehungen zur königlichen Familie von Quatar spielen zu lassen, um ein verhasstes Bauprojekt in London zu verhindern. Wie undemokratisch, welch eine Verhöhnung des „demokratischen Planungs- und Entscheidungsprozesses“, sagen seine Widersacher.
Die Liste der Protestler gegen monarchische Anmaßung ist lang und eindrucksvoll. Beinah alles, was in der Architekturbranche Rang und Namen hat, unterzeichnete den Brief an die Sunday Times – Lord Foster, Jaques Herzog Pierre de Meuron, Renzo Piano, Zaha Hadid und Frank Gehry. Sie verweisen auf andere Fälle des prinzlichen Pharisäertums, dessen Vorliebe für neoklassizistische Architektur ihnen ohnehin ein steter Dorn im Auge ist.
Was hier abläuft ist ein Machtkampf zwischen neuer und alter Elite. In diesem Konflikt das Interesse des Volkes oder demokratische Prinzipien zu beschwören, dient einzig dazu, die eigene Position in möglichst günstigem Licht erscheinen zu lassen. Wobei Prinz Charles immerhin so ehrlich ist, sich gar nicht erst auf Volkes Willen zu berufen. Er verkörpert, um die Kategorien Max Webers zu benutzen, die traditionelle Form der Herrschaft, die in der Monarchie ihre Entsprechung fand; die Garde der modernen Architekten versteht sich als Teil der rationalen Herrschaft, die mit der Republik Wirklichkeit wurde.
Beiden Seiten, Monarchie wie moderne Kultureliten, ist der Willen des Volkes dabei ziemlich schnuppe, ja, man darf getrost annehmen, dass sie dessen Instinkte und Wünsche insgeheim mit Abscheu betrachten. Wahrscheinlich können die Kultureliten als Verfechter der Moderne in Architektur und Musik mit der emotionalen, populären Kategorie der Herrschaft, die sich in der Entwicklung der westlichen Gesellschaften in Massenmediendemokratien manifestiert, noch weniger anfangen als der Prinz. Wie anders soll man sich die „Beton Brutal“-Sünden im Städte- und Wohnungsbau der letzten 40 bis 50 Jahre erklären, in denen auf die Wünsche der Menschen keine Rücksicht genommen wurde.
Nein, in diesem Streit sollte nur eines zählen: Die Auffassung der Mehrheit. Hier besitzt Prinz Charles eindeutig die besseren Karten. Seine sparsamen architektonischen Interventionen haben an prominenten Plätzen Londons städtebauliche Sünden verhindert. Mitte der 80iger stänkerte er solange gegen den Entwurf von Richard Rogers für die Erweiterung der National Gallery, bis sich die Planer anders entschieden. Gleiches gilt für die Umgebung von St. Pauls Cathedral, die ansonsten durch Hochbauten verschandelt worden wäre. Ein ähnliches Schicksal drohte auch in Chelsea, wo unmittelbar neben Christopher Wrens elegantem Hospital aus dem 17. Jahrhundert Bauten entstehen sollen, die der Volksmund „Toaster“ getauft hat. Die metallischen, seelenlosen Gebäude würden in parallelen Linien so eng zusammenstehen, dass nur eine dünne Scheibe Brot dazwischen passte. Daher der Spitzname, der nicht als Kompliment gedacht ist.
Prinz Charles wurde bei den Besitzern des Grundstücks, der königliche Familie von Quatar vorstellig und konnte sie offenkundig von den Vorzügen eines anderen, traditionelleren Entwurfes überzeugen, der besser zur Umgebung passt. Weshalb die Gilde der Stararchitekten vor Wut schäumt und sich zum Frontalangriff auf den Thronfolger entschloss.
Doch das Argument „Demokratie“ wirkt alles andere als überzeugend. In undurchsichtigen Planungsverfahren setzen sich meist die Interessen von Bauunternehmen, Architekten und Politikern durch, die Wünsche der Bevölkerung werden in aller Regel ignoriert. Wenn es einer feudalen Figur bedarf, um sie diesmal durchzusetzen, dann soll es eben so sein.
Quelle: http://www.zeit.de/online/2009/17/architektur-streit-england
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