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Abschied von der grünen Wiese

    Verdichtete Bauweisen schonen die Natur und steigern die Lebensqualität.

    Wohnen im Grünen – wer möchte das nicht? Rings ums Haus Garten mit gehörigem Abstand zum Nachbarn. Viel Platz zum Gärtnern, Grillen, Kinderspiel. Und sogar der Naturschutz kommt scheinbar gut weg: Wo viel Freiraum ist, ist auch viel Platz für Natur.

    Doch das hat seinen Preis. Gerade und ausgerechnet sehr locker bebaute Siedlungsteile, solche mit freistehenden Ein- und Zweifamilienhäusern allemal, verbrauchen sehr viel Fläche – zwei- bis dreimal mehr als Siedlungsformen in geschlossener Bauweise. Denn je geringer die Bebauungsdichte ausfällt, umso höher ist der Anteil der Erschließungs- und der oft nicht nutzbaren Abstandsflächen. In den nächsten Jahren wird ausgerechnet die Nachfrage nach Ein- und Zweifamilienhäusern zu mehr als 80 Prozent die Wohnbaulandnachfrage bestimmen.

    Ungebremster Flächenfraß

    Der Flächenverbrauch ist allein durch Zahlen nicht zu begreifen, geschweige denn zu vermitteln. Was sind schon, verteilt über ganz Deutschland, 130 Hektar pro Tag oder 15 Quadratmeter in der Sekunde? Bezogen auf den Wohn- und Lebensort jedes Einzelnen kommen in der Regel verschwindend geringe Werte zustande. Nein, Flächenverbrauch wird vor allem durch Erinnerung bewusst. Dort, wo vor wenigen Jahren nichts als Felder oder Wiesentäler waren, stehen heute Bürotürme, Supermärkte oder sind ganze Stadtteile entstanden. Entwicklungen, die vor Jahren und Jahrzehnten undenkbar schienen, sind heute gebaute Realität. Allein mit Wehmut lässt sich zurückdenken an die Tage, an denen man Natur erleben konnte an Orten, an denen heute an Natur kaum mehr zu denken ist.
    Stimmt es uns nicht traurig zu sehen wie Landschaft erschlossen und bebaut wird, seien es nun wertvolle Feuchtwiesen, Schwarzerden oder einfach irgendein durchschnittliches Stück Land?

    Die Entwicklung scheint nicht aufzuhalten zu sein, weil zu viele Rädchen drehen und ineinander greifen. Da ist das Bauamt, weil zuständig für Baugenehmigungen. Dann der Gemeinderat als Träger der grundgesetzlich verbrieften Planungshoheit. Und es geht weiter mit der Bauwirtschaft, der Bausparkasse, dem Landbesitzer und nicht zuletzt dem einzelnen Häuslebauer.

    Wohnfläche ungerecht verteilt

    Lassen sich Flächenverbrauch und wachsender Wohlstand überhaupt abkoppeln? Oder sind Wachstum in die Fläche und Gewinnmaximierung zwei Seiten derselben Medaille wirtschaftlicher Betätigung? In den letzten Jahren übertraf jedenfalls der jährliche Anstieg der Industrie- und Gewerbeflächen den der Wohnbauflächen.

    Hat die Erschließung weiterer Bauflächen Zukunft in einem Land mit stagnierender, im Osten Deutschlands schon heute, und in wenigen Jahren auch in ganz Deutschland abnehmender Bevölkerung? Oder ist unser persönlicher Bedarf nach immer mehr überbauter, überdachter Fläche unstillbar? Jahr für Jahr nimmt die Wohnfläche pro Person um einen halben Quadratmeter zu. Inzwischen sind wir in Deutschland bei 41 Quadratmetern angelangt. Von Wohnungsnot kann längst keine Rede mehr sein.

    Dennoch führt die ungleiche Wohnraumverteilung dazu, dass immer noch viele Menschen unter beengten Verhältnissen leben. Jede Leserin, jeder Leser prüfe sich selbst, ob sie oder er nicht eher über dem Durchschnitt liegt. Der Naturschutz, nicht zuletzt der NABU und wir alle als seine Mitglieder, müssen uns kritisch befragen, uns dieser Ungleichverteilung bewusst werden und gegebenenfalls auch persönliche Konsequenzen ziehen.

    Nähe und Dichte neu entdecken

    Unsere Städte und Dörfer hören nur dann auf, in die Breite zu wachsen, wenn wir unsere überkommenen Gewohnheiten und Lebensstile ändern und uns neue Ziele setzen. Es gilt, die Qualitäten von Nähe und Dichte neu zu entdecken, Gemeinschaft und Nachbarschaftshilfe, Einkauf und Arbeit im Quartier, Kommunikation und Begegnung im halbprivaten und halböffentlichen Raum als Bereicherung zu erleben.

    Natürlich führen Nähe und Dichte auch zu Konflikten. Aber kommt das Wohnen im Neubaugebiet jenseits der alten Siedlungsgrenze – mit gehörigem Abstand zum Nachbarn ebenso wie zum nächsten Laden – wirklich dem Paradies auf Erden gleich? Dabei wäre ökologisch verantwortliches Wohnen, also Wohnen im Gebrauchthaus, in der Gebrauchtwohnung oder Wand an Wand zum Nachbarn „im Grünen“ und mit viel Lebensqualität möglich. Werden die Gebäude geschickt angeordnet, ist die tatsächlich nutzbare Grundstücks- und Gartenfläche flächensparender, untereinander teilweise verbundener Eigenheime ebenso groß wie bei flächenzehrender Bauweise.

    Nun glaubt mancher Zeitgenosse, es sei doch vernünftig und sogar ökologisch geboten, eine bloß landwirtschaftlich genutzte, womöglich gar intensiv gedüngte Fläche zu bebauen und möglichst viel davon, je mehr desto besser, in Gartenland und Grünanlagen zu verwandeln. Handelt es sich bei den so entwickelten Freiflächen nicht um die wertvollere Natur? Bieten sie nicht Lebensraum für wild lebende Pflanzen und Tiere?

    Die enge Verflechtung von Siedlung und Siedlungsgrün mag auf den ersten Blick dem Naturschutz dienen. Schließlich bieten Grünanlagen, Gärten und naturnahe Freiflächen in der Tat hier und dort auch der ein oder anderen gefährdeten und seltenen Tier- oder Pflanzenart Lebensraum. In den meisten dieser Freiräume jedoch finden sich die eher anspruchslosen, so genannten Allerweltsarten.

    Garten statt Acker als Naturschutztat?

    Umso mehr ein Grund, den naturnahen Garten, die naturnahe Grünflächenpflege zu empfehlen und jeden freien Winkel in Stadt und Dorf zu ökologisieren, ja möglichst viel Land möglichst locker zu bebauen, um Deutschland immer mehr Natur zu schenken? Mitnichten. Genau an diesem Punkt gilt es umzudenken und das Verursacherprinzip, eine der tragenden Säulen des Natur- und Umweltschutzes, in Erinnerung zu rufen. Grünflächen, Gärten und andere Freiräume in den Siedlungen sind selbstverständlich möglichst naturnah anzulegen und zu unterhalten.
    Die Flächeninanspruchnahme selbst aber lässt sich nicht dadurch rechtfertigen, dass in den Siedlungen letztlich auch die Natur ihre Nische findet oder zugewiesen bekommt.

    Zuallererst gehen durch die Erschließung und Anlage eines neuen Siedlungsteiles jenseits der Ortsgrenze Boden und zusammenhängende Freifläche verloren – Freifläche von Landschaftsteilen, die für die Verwirklichung übergeordneter Naturschutzziele dringend benötigt werden: Ökologische oder extensive Landnutzung, unzerschnittene, weiträumige, vielfältige, miteinander verzahnte Landschaften. Jede für sich betrachtet unerhebliche Siedlungserweiterung sowie das Zusammenfügen von Städten und Dörfern in Ballungs- und Verdichtungsräumen verkleinern den Lebensraum derjenigen Arten, die auf unzerschnittene, weite Freiräume angewiesen sind. Zugleich schmälern wir unsere eigenen Erholungsräume und – weil meist landwirtschaftliche Nutzfläche bebaut wird – unsere Ernährungsgrundlage. Nicht zuletzt gewährleisten nur große Freiräume einen klimatischen Ausgleich.

    Innerörtliche Baureserven reichen aus

    Auch deshalb brauchen wir klare Grenzen zwischen Siedlung und unbebauter Landschaft, kompakte Siedlungsstrukturen und eine Konzentration der Siedlungsentwicklung auf den Bestand. Wie Studien wiederholt gezeigt haben, liegen innerhalb der Siedlungsgrenzen ganz erhebliche Bau- und Nutzungsreserven brach.
    Werden diese Möglichkeiten konsequent erschlossen, lassen sich im selben Atemzug große Natur- und Freiräume erhalten und entwickeln.

    Innerhalb der Siedlungsgrenzen ist von Fall zu Fall zu entscheiden über eine höhere Ausnutzung bereits gebauter Wohn- und Nutzflächen (Wohnungstauschbörse, Umzugsmanagement, gemeinsame Nutzung von Räumen und Geräten), über eine bauliche Verdichtung (eher in locker bebauten Bereichen, auf bereits versiegelten Flächen/Brachen, Baulücken) oder die Aufwertung vorhandener Freiräume (in oder in der Nähe bereits stark verdichteter Quartiere). In einem Gründerzeitviertel mit Blockrandbebauung beispielsweise sollten selbst kleine Natur- und Grünoasen in Vorgärten, Hinterhöfen und einzelnen Baulücken erhalten werden, während Ortsteile mit Zeilenbebauung oder freistehenden Einzelhäusern dagegen grundsätzlich noch für eine bauliche Verdichtung geeignet sind.

    Auch müssen Erhaltung oder Entwicklung eines größeren, zusammenhängenden Natur- oder Freiraumes innerhalb einer Siedlung – zum Beispiel eine aus mehreren Gärten bestehende Anlage oder entlang eines bislang verrohrten Grabens – im Grundsatz Vorrang genießen vor kleinen, in keiner Verbindung zu anderen stehenden Flächen. Anstelle von Zersiedelung und Konturlosigkeit sollten vornehmlich große, zusammenhängende Freiräume, biotopvernetzende Grünzüge und Parkanlagen Stadt und Dorf begrenzen und durchdringen. Die Innenentwicklung der Städte und Dörfer würde somit zum Regelfall der Siedlungsentwicklung. Die Außenentwicklung würde endlich zum Ausnahmefall.

    Flächenschutz zusammen mit der Landwirtschaft

    Dies erfordert – was zunächst erstaunen mag – unter anderem ein neues Bündnis mit der Landwirtschaft. Die Bauern, zumindest dort wo sie zugleich als Landbesitzer auftreten, sind an ihr eigenes Berufsethos zu erinnern: sich verantwortlich zu fühlen für die Erhaltung und Gestaltung unserer Kulturlandschaft. Zum anderen muss die Landwirtschaft auch in dem Zusammenhang mit den hier behandelten Fragen flächenwirksam ökologisiert werden. Denn die Überbauung einer ökologisch bewirtschafteten Fläche steht vor mehr Hindernissen als die einer konventionell genutzten. Besonders siedlungsnahen, weil absatzmarktnahen Betrieben und deren Flächen bieten sich vor diesem Hintergrund große Chancen.

    Bei der beschriebenen Konzentration auf den Siedlungsbestand einerseits und die Landwirtschaft und ihren Beitrag zum Landschaftsschutz andererseits kann jede NABU-Gruppe mitwirken und auf die vernünftige Ausgestaltung der kommunalen Planungshoheit ebenso wie auf die Nachfrage nach ökologisch erzeugten Produkten Einfluss nehmen. Mit der Ausschreibung des NABU-Baupreises, einem der wichtigsten Elemente der Siedlungskampagne,, kann die Aufmerksamkeit weg von den Siedlungen auf der grünen Wiese auf bereits bestehende Gebäude gelenkt werden.

    Steuer- und Förderpolitik umkehren

    Darüber hinaus bedarf es einer Beweislastumkehr im Bau- und Planungsrecht: Nicht der Schutz einer Fläche vor Bebauung muss zukünftig besonders begründet werden, sondern ihre Inanspruchnahme für Bebauung.
    Auch muss die Steuer- und Förderpolitik beim Bauen sowie bei Grund und Boden neu ausgerichtet werden. Bauen muss zu wahren Kosten erfolgen, wirtschaftlich und ökologisch.
    Eine deutliche Besteuerung der Flächeninanspruchnahme statt der allgemein praktizierten Subventionierung der Flächenerschließung und -bebauung jenseits der Siedlungsgrenzen böte Anreize für einen sparsamen und effizienten Umgang mit der Fläche.

    Was schließlich bleibt jedem Einzelnen zu tun, um Natur- und Freiflächen in unserem Land zu schützen? Zwei Dinge von vielen: Bei einem Umzug sich für ein Haus oder eine Wohnung zu entscheiden, das beziehungsweise die schon einmal bewohnt wurde. Und sich bei der Deckung des Konsumbedarfs auf Einkäufe in den gewachsenen Dorf-, Stadt- und Stadtteilzentren zu konzentrieren.

    Von Ulrich Kriese in Naturschutz heute, Ausgabe 4/01 vom 26. Oktober 2001

    http://www.nabu.de/nh/40 1/siedlung401.htm

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