Der in vielen Volksliedern gepriesene Tannenwald könnte im Südwesten bald der Vergangenheit angehören. Dies jedenfalls befürchtet der Geschäftsführer der Forstkammer Baden-Württemberg, Martin Bentele.
In den vergangenen 100 Jahren sei die Tanne bereits durch Waldsterben und Wildverbiss auf einen Anteil unter zehn Prozent gedrückt worden, sagt Bentele in einem dpa-Gespräch. „Der Orkan Lothar und seine Folgen könnten ihr den Rest geben und zu ihrem Aussterben führen.“ Ein Grund hierfür liegt auch im Strukturwandel in der Sägeindustrie: Die Säger bevorzugen immer mehr Fichten- Schwachholz. „Die Tanne als traditionelle Starkholzbaumart ist ihnen ein Dorn im Auge.“ Tannenverarbeitende, meist kleinere Sägereien verlören im Wettbewerb. Maßgebliche Vertreter der Sägeindustrie sprächen dem Starkholz jede Zukunftsfähigkeit ab.
Bereits jetzt wird Tannen-Starkholz deutlich unter 100 Mark pro Festmeter gehandelt – der so genannte Tannen-Abschlag liegt gegenüber Fichte bei zehn bis 15 Mark pro Festmeter. „Wir müssen bei Starkholz befürchten, dass wir bald nicht einmal mehr die Aufarbeitungskosten hereinbekommen“, sagt Bentele. „Wenn alte Waldbauern das sehen, blutet ihnen das Herz.“ Kurz: Der Anbau von Tannen ist nicht mehr empfehlenswert.
Hinzu kommt, dass „Lothar“ seinen Schwerpunkt im mittleren und nördlichen Schwarzwald hatte – dem traditionellen Standort der Tanne. Daraus ergebe sich ein „dramatisches Überangebot, das zu einem rapiden Wertverlust führt“, so der Forstmann. Starkholz habe am gesamten Sturmholz einen Anteil von etwa 40 Prozent – ein nicht absetzbares Potenzial.
Derzeit verarbeiten die Säger vor allem Holz mit einem Mitten- Durchmesser von 20 bis 30 Zentimeter. Dabei gebe es beispielsweise in Amerika durchaus fortschrittliche Starkholz-Sägetechnik, weiß Bentele. „Wir hoffen auf einen Innovationsschub auf dem deutschen Markt.“ Starkholz wird vor allem zu traditionellen Bauholzsortimenten geschnitten, während dünnere Stämme immer mehr zu Holzverbund- Werkstoffen verarbeitet werden, die im modernen Hausbau zunehmend Metall- oder Kunststoff-Konstruktionen ersetzen.
Vor zwei Jahren hatten Vertreter der Forst- und der Holzwirtschaft den „Arbeitskreis Weißtanne“ gegründet, um das Image der Tanne bei Architekten, Bauingenieuren, Bauherren und anderen Holzverarbeitern aufzupolieren. „Wir waren auf dem besten Weg“, berichtet Bentele. „Der Orkan hat unsere Bemühungen um Jahre zurückgeworfen.“
Die für den Wald aus ökologischen Gründen wichtige Tanne galt früher als das beste Bauholz überhaupt. Die ältesten Holzhäuser im Schwarzwald und in der Schweiz sind aus Tanne gezimmert, und das Expo-Dach beweist heute, dass der Baustoff Tanne nach wie vor aktuell ist. „Es wäre eine kulturhistorische Blamage, wenn die Tanne verschwinden würde“, sagt Bentele.
Quelle: dpa – Meldung vom 14.6.2000