Die Deutsche Welle berichtet heute:
Schöner bauen mit der Baugruppe
Der Traum vom Häuschen im Grünen scheint ausgedient zu haben. Überall in Deutschlands Innenstädten tun sich Menschen zusammen, um in Eigenregie Häuser zu planen. Ohne Investoren, die die Preise in die Höhe treiben.
Eine Baustelle wie jede andere: Bagger heben ein Loch aus, Kräne transportieren Steinplatten, Arbeiter balancieren auf Gerüsten. Das Besondere ist für Uneingeweihte nicht zu erkennen: Das Haus, das hier entsteht, wurde von einer Baugruppe geplant. Utz Ingo Küppers steht zwischen Pfützen und Betonmischmaschinen und weist auf einen Rohbau, sein künftiges Zuhause. Im Frühjahr nächsten Jahres sollen hier 30 Erwachsene und 20 Kinder einziehen. Ihr gemeinschaftlich entworfenes Traumhaus entsteht auf dem Gelände eines ehemaligen Kinderheims in Köln-Sülz.
Der 69-jährige Rentner und ehemalige Leiter des Stadtentwicklungsamtes in Köln hat sich vor drei Jahren mit 16 Gleichgesinnten zu einer Baugruppe zusammengetan. Alle Mitglieder verband die Vision von einem Wohnraum, der auf individuelle Bedürfnisse zugeschnitten ist, und in dem sie sich ihre Nachbarn selbst aussuchen können. „Es gibt einen Gruppenraum, eine Gästewohnung, gemeinsame Waschräume und eine Dachterrasse, die wir uns teilen“, sagt Küppers. Es soll ein Modell werden für ökologisches, soziales und erschwingliches Wohnen – mitten in Köln. Der Quadratmeterpreis ist mit 3000 Euro zwar alles andere als ein Schnäppchen, aber Investoren verlangen in gleicher Lage bis zu 5000 Euro.
Eine Idee wandert durch Deutschland
Baugruppen wie die von Utz Ingo Küppers erleben in Deutschland derzeit einen Boom. Eigentlich kommt die Idee schon aus den 80er Jahren. Damals wurden in der Hamburger Hafenstraße oder in Berlin-Kreuzberg aus illegalen Haubesetzern genossenschaftlich organisierte Hausbesitzer. Politisch Links sind die privaten Bauherrn allerdings nicht, eher pragmatisch. Es zieht sie vornehmlich in gute Lagen. Dorthin, wo sie sich sonst keine Eigentumswohnung leisten können. Zur Hauptklientel zählen Akademiker und Selbständige aus den gestaltenden Berufen, wie eine Studie der Zeitschrift „Bauwelt“ herausgefunden hat. Das ruft erste Kritiker auf den Plan, die eine Gentrifizierung befürchten, weil einkommensstarke Schichten einkommensschwache verdrängen könnten.
Los ging der Trend in Freiburg und Tübingen, wo ganze Stadtviertel nach diesem Beispiel in den letzten zehn Jahren entstanden sind. Dann wanderte die Idee durch die Republik. In Berlin meldet das Wohnprojekte-Webportal mehr als 130 Bauprojekte im Stadtgebiet, die in privater Initiative ins Leben gerufen werden. Das entspricht rund einem Drittel aller Neubauten innerhalb des S-Bahn-Rings.
Leben, wo das Leben spielt
Als potentielles Baugruppen-Mitglied sieht Almut Skriver die Familie, in der beide Eltern berufstätig sind. „Für die ist das Leben mit Kindern schwer zu organisieren. Die neue Familie möchte am kulturellen Leben teilnehmen und nicht in der Vorstadt versauern“, sagt Skriver, die am Haus der Architektur in Köln das Netzwerk Baugemeinschaften gegründet hat. Als Ziel vieler Baugruppen nennt die Architektin den Wunsch, eine dörfliche Gemeinschaft in der Stadt wiederzufinden. Nach dem Motto: man kennt sich, man hilft sich.
Bei vielen Mitgliedern stehen finanzielle Überlegungen im Vordergrund. „In der Gruppe baut es sich um gut 20 Prozent billiger – verglichen mit Eigentumswohnungen oder Reihenhäusern, die Bauträger erstellt haben“, sagt Thomas Luzcak, der als Architekt die Baugruppe in Köln betreut. Doch auch Idealismus spiele eine Rolle. „Damit kündigt sich möglicherweise das Ende einer nur am Egoismus orientierten Lebens- und Denkweise an“, meint Luczak.
Nicht von der Stange wohnen
Utz Ingo Küppers steckt viel Zeit und Energie in die Baugruppe. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge spricht er von einer halben Stelle, allerdings ehrenamtlich. Als sich die Kerngruppe vor drei Jahren bildete, waren vor allem Architekten und Stadtplaner von der Partie, die von der Idee beseelt waren, das Wohnen in der Stadt neu zu definieren. Dabei mussten einige Hürden genommen werden. Der erste Wettbewerb, den die Baugruppe als Entwurf mit fertiger Finanzierung bei der Stadt Köln einreichte, fiel durch. Daraufhin sprang nicht nur die Hälfte der Mitglieder ab, es wurde auch schon viel Zeit und Geld investiert.
Beim zweiten Anlauf klappte es zwar, doch durch die gestiegenen Kosten änderte sich die soziale Zusammensetzung der Gruppe. „Wir konnten keine Leute mit niedrigem Einkommen mehr nehmen. Wir mussten uns auf die besser verdienenden konzentrieren.“ In den wöchentlich stattfindenden Treffen sei es nicht immer leicht, die Interessen aller unter einen Hut zu kriegen. „Die Gründungsphilosophie war stark darauf ausgerichtet, dass wir ökologisch wohnen. Die Jüngeren, die später dazu gestoßen sind, finden zum Beispiel eine Solarstromanlage gar nicht mehr so wichtig“, sagt Küppers.
Kompromisse gefragt
Trotzdem ist die Baugruppe für ihn ein Gegenentwurf zur Profitgier von Investoren. Und letztlich auch eine Antwort auf den seriellen und meist phantasielosen Bau von Eigenheimen, wie er landauf landab in Deutschlands Städten zu beobachten ist. Einige Architekturbüros haben sich deshalb bereits auf Baugruppen spezialisiert. Auch Thomas Luczak sieht darin eine Möglichkeit als Architekt in den Städtebau einzugreifen. „Es gibt inzwischen immer mehr Bürger, die mit dem Wohnungsmarkt wenig anfangen können, aber in der Stadt bleiben wollen.“
Luczak hat sich mit viel Fingerspitzengefühl an die Wünsche der Bewohner herangearbeitet. Das von ihm entworfene Haus bietet 65 Quadratmeter große Appartements genauso wie dreigeschossige Maisonettewohnungen mit 130 Quadratmetern. „Es kommt keine Wohnung zweimal vor“, sagt Luczak stolz. Auch Utz Ingo Küppers ist trotz aller Querelen weiterhin von der Baugruppen-Idee begeistert. „Privat verstehen wir uns alle sehr gut. Ich möchte mit Menschen aus verschiedenen Generationen und Lebensbereichen zusammenwohnen. Auch wenn es viel Arbeit ist.“
Autorin: Sabine Oelze
Redaktion: Jochen Kürten