Landwirtschaft und Ernährung
Karl Ludwig Schweisfurth: ‚Lidl-isierung‘ unserer Gesellschaft gegensteuern
„Ich denke, euch verbindet die Freude am Kochen und Essen“, analysiert Karl Ludwig Schweisfurth die Personen-Gruppe, die den Gründer der „Herrmannsdorfer Landwerkstätten“ bei Glonn besuchten. Recht hat er, denn bei den Besuchern handelt es sich um die „Slow-Food-Gruppe Chiemgau-Rosenheimer Land“. Der „Chef“ des Conviviums, Dieter Jung aus Bad Aibling, konnte einen Termin mit dem Öko-Unternehmer ausmachen – was gar nicht so einfach war. Nun sitzt Karl Ludwig Schweisfurth im „Schweinsbräu“ – und die Zuhörer sind gespannt, was er ihnen erzählen wird.
Der vital wirkende 75-Jährige mit Hut auf dem Haupt, hat sein Vermögen mit dem Fleischkonzern Herta gemacht. Der Spross einer Metzgerfamilie aus Herta in Westfalen war nach einem Amerikabesuch als 25-Jähriger derart begeistert von der dortigen Industrialisierung des Metzgerhandwerks, dass er dies auch im elterlichen Unternehmen umsetzen wollte, das damals bereits 100 Mitarbeiter hatte. Der Vater übergab an den Junior („Junge streng dich an, ich helfe dir dabei“), der hatte mit dem neuen Konzept Erfolg. 30 Jahre lang baute er einen durchrationalisierten Industriebetrieb mit schließlich etwa 5000 Angestellten auf, „Herta“-Erzeugnisse konnte man in ganz Europa kaufen.
Vor 20 Jahren in der Fastenzeit („Fasten gehört bei mir zum Leben“) kamen Schweisfurth Zweifel, ob dies der richtige Weg war. Dann kam quasi die Wandlung vom Saulus zum Paulus: Er eröffnete seiner Frau: „Wir fangen noch mal ganz von vorne an“, und begab sich auf die Suche nach einem passenden Objekt, wo er seine Vorstellungen von artgerechter Tierhaltung und Lebensmittelerzeugung – in der Nähe einer Großstadt – verwirklichen konnte. In Herrmannsdorf bei Glonn wurde er endlich fündig. Das Gut eines Schweinemästers wurde entsprechend umgebaut – er von vielen für komplett verrückt erklärt und als Ökospinner belächelt.
Mittlerweile gibt es dort eine Brauerei, Käserei, Metzgerei, Bäckerei, ein Wirtshaus sowie die Markthalle, in der man einkaufen kann. Darüber hinaus klappt die Zusammenarbeit mit mehr als 50 ökologisch wirtschaftenden Nachbarn.
„Herrmannsdorf ist für mich der Oberbegriff für eine neue Agrar- und Esskultur“, meint der Unternehmer. Lebensmittel seien für ihn Mittel zum Leben, deshalb schreibt er das Wort in seinen zahlreichen Publikationen mit Bindestrich: Lebens-Mittel.
Als er vor 60 Jahren eine Metzgerlehre begann, arbeitete ohnehin noch jeder ökologisch, denn die „wunderbaren Sachen, die uns die Chemie später geschenkt hat, gab’s noch nicht. Keine Geschmacksverstärker, naturidentische Aromen, Emulgatoren oder Schaumverhüter usw. Erst seit 30 oder 40 Jahren kommen wir in den zweifelhaften Genuss dieser Hilfsmittel“, weiß er. Handwerkliche Prinzipien herrschten vor, die Tiere kamen aus der Region: eine funktionierende Zusammenarbeit von Bauern und Handwerkern. In jedem Dorf gab’s Metzger, Bäcker, Käser; die Kommunikation funktionierte noch. Die enge soziale Partnerschaft zwischen Verarbeitern und Bauern hatte sich über Jahrhunderte bewährt. Nun aber hat die industrielle Automation Einzug gehalten und Lkw liefern anonyme Produkte zum Lidl-Laden in jedes Dorf.
Tiere werden herumgekarrt, geschlachtet – die Produkte kommen schön verpackt ins Dorf zurück. In modernen Fleischfabriken schlachten Roboter stündlich etwa 1000 Schweine, am Ende kommt das verpackte Produkt heraus. Das hat auch Vorteile: abgepacktes Hackfleisch ist bis zu einer Woche haltbar, die Maschinen haben uns schwere Arbeiten abgenommen – aber die zunehmende Automatisierung macht uns Menschen überflüssig – „und das macht mir Angst“, so Schweisfurth. Fließbandarbeit verblöde die Menschen und sei eigentlich ein Verstoß gegen die Menschenrechte. „Abgesehen von der Misshandlung der Tiere, ist uns dabei viel Kultur verloren gegangen. Denn in keiner Region der Welt gibt es so eine Vielfalt an Schinken, Würsten, Käse oder Brot- und Biersorten wie in Europa. Da haben wir der Welt etwas zu schenken“, ist er überzeugt.
Doch die „Lidl-isierung“ unserer Gesellschaft schreite fort – noch billiger und nochmal billiger soll alles werden, das setzt sich bis zum Bauern fort. Alle müssten Dinge tun, die sie eigentlich gar nicht tun wollten. Automatisieren, Menschen entlassen, Tiere entwürdigen, gentechnisch manipuliertes Futter verwenden.
Dem will Schweisfurth etwas entgegensetzen und zeigen, was Lebens-Mittel sein sollen: sie sollen dem Körper Leben vermitteln. Dazu sei ökologisches Wirtschaften die Voraussetzung für eine höchstmögliche Lebensmittelqualität, einhergehend mit praktiziertem Umweltschutz. Geschmacklich und besonders gut für den Körper sollen sie sein, für ein gesundes und langes Leben. Ohne Geschmacksverstärker oder Aromen. Erzeugen – nicht produzieren – von Tieren und Pflanzen; gute alte Handwerkskunst wieder aufleben lassen, zum Beispiel bei der Herstellung von Fleisch, Schinken und Wurst ist vorrangig. Artgerechte Lebensbedingungen für Tiere schaffen – das kann man sich im „Schweinedorf“ anschauen.
Karl Ludwig Schweisfurth: „Wir bevorzugen Freilandhaltung, die Tiere suchen sich ihre Maden, Würmer, Knospen oder Wurzeln selbst, ihr Fleisch schmeckt großartig.“ Auch das Zusammenleben von Tieren auszuloten, war ein spannender Versuch: 40 Schweine lebten gemeinsam mit 200 Hühnern; die Schweine passten auf die Hühner auf, kein Bussard oder Fuchs hatte eine Chance auf Beute. Die Hühner saßen abends auf den Schweinen, weil es dort warm war und übernahmen zum Dank die Körperpflege. In der modernen, wissenschaftlichen Landwirtschaft sei so etwas undenkbar.
Schweisfurth hält es für falsch, Tieren chemisch analysiertes Fertigfutter vorzusetzen, das zwar alles enthält, was das Tier zum Wachsen braucht. „Bei den Menschen funktioniert das doch auch nicht“ meint er, „kein Mensch käme auf die Idee, sich so zu ernähren. Aber bei Tieren, die wir essen, machen wir es so“. Achtsames Töten der Tiere bedeute für ihn: Das muss ohne Angst oder Stress für die Lebewesen sein. Das lange Transportieren von Schlachttieren verstoße gegen jede Ethik, eigentlich ist es eine Sünde. Die Tiere erleiden dadurch unendlich viel Angst und Leid, bis sie endlich getötet werden.
„Wir haben in Herrmannsdorf die Verarbeitung von Warmfleisch eingeführt. Das heißt, beim Schlachten muss alles schnell verarbeitet werden, da nur dann garantiert ist, dass gesunde Stoffe, Kräfte und Wirkungen im Endprodukt vorhanden sind.“ Es werden dazu ausnahmslos Gewürze aus biologischem Anbau verwendet. „Da braucht man weniger, weil sie aromatischer schmecken. Fleischstücke müssen natürlich eine Zeit reifen. Denn, zwei bis drei Stunden nach dem Schlachten tritt die Totenstarre ein, das Fleisch zieht sich zusammen“, erklärt Schweisfurth. Durch den Milchsäureprozesse (Abhängen) wird das Fleisch nach ein paar Wochen wieder zart.
Schlachten werde heute durch viele Auflagen erschwert. So kaufen viele Metzger ihr Fleisch in Schlachthöfen, wissen aber dadurch nicht mehr, wer oder wo es „produziert“ worden ist.
Gut schmeckendes und gesundes Getreide oder Gemüse wächst ja auch nur auf einem Boden, in dem noch alles enthalten ist. Intensive Düngung verschlechtert die Qualität des Bodens und der Pflanzen. Die Stoffe, Kräfte und Wirkungen naturbelassener Lebens-Mittel kann man laut Schweisfurth nicht chemisch analysieren.
„Wer also was für sich und seine Kinder, für die Tiere und Umwelt Gutes tun will, der soll möglichst Lebensmittel kaufen, die noch unversehrt sind, in denen noch alles drin ist, was drin sein soll“, appelliert er an die Verbraucher – und um damit auch einer weiteren „Lidl-iesierung“ der Gesellschaft Einhalt zu gebieten.
Herbert Zeilinger
Hofführungen
gibt es von April bis Oktober jeden Samstag um 10:30 Uhr. Führungen für Gruppen sind zu erfragen unter Telefon 08093/90940.