Wohnprojekte für Jung und Alt werden immer beliebter
Gemeinschaftliches Wohnen liegt voll im Trend. Ob Jung oder Alt, für immer mehr Menschen bedeutet „Wohnen“ mehr als nur ein Dach über dem Kopf. Sie möchten sich in ihrem Wohnumfeld rundum wohl fühlen. Ein Weg dahin ist, das gemeinsame Haus von Anfang an gemeinsam zu planen. Nach dem Einzug unterstützen sich die Nachbarn gegenseitig in den kleinen Dingen des Alltags. Auch unter ökologischen Aspekten bringt gemeinschaftliches Wohnen viele Vorteile mit sich.
Im Garten sitzen Kinder im Sandkasten und bauen mit vereinten Kräften eine Sandburg, im Treppenhaus unterhalten sich zwei Nachbarinnen, ein paar größere Jungs spielen auf der Straße Fußball. Auf den ersten Blick erweckt das Haus in der Stuttgarter Mahatma-Gandhi-Straße 19-21 den Eindruck eines ganz normalen Mehrfamilienhauses. Aber eben nur auf den ersten Blick. Betritt man das Haus über das Gartengeschoss, wundert sich der Besucher über einen großen, liebevoll gestalteten und mit Einbauküche, Stühlen und Tischen eingerichteten großen Raum. Gleich daneben findet sich ein ebenfalls recht großes Kinderzimmer mit Trampolin, Kaufladen, Maltisch und Matratzen. Langsam dämmert dem Besucher, dass es sich um ein Haus der etwas anderen Art handeln muss.
Mobile nennt sich das zweite gemeinschaftliche, Generationen übergreifende Projekt der Wohngenossenschaft „pro… gemeinsam bauen und leben eG“ im Stuttgarter Stadtteil Burgholzhof. Über zwei Jahre lang trafen sich Familien, jüngere und ältere Singles sowie Alleinerziehende zweiwöchentlich, um ihr Haus zu planen. Im April 2005, nach zwölfmonatiger Bauzeit, zeigte sich, dass sich die Mühen gelohnt haben: Auf mehrere Wochenenden verteilt, konnte die Gemeinschaft, die aus 41 Erwachsenen und 32 Kindern aus acht Nationen besteht, einziehen. Das Wohnprojekt umfasst 24 abgeschlossene Wohnungen zwischen 42 und 130 Quadratmetern. Dazu kommen Gemeinschafträume im Erdgeschoss auf einer Fläche von über 100 Quadratmetern. Diese werden als Erwachsenentreff, Kinderzimmer und Hobbyraum genutzt.
Lange vor dem Einzug ist die Gruppe zu einer richtigen Gemeinschaft zusammengewachsen. Neben der gemeinsamen Planung des Hauses unternahm die Gruppe Ausflüge und organisierte den festlichen Rahmen für die Grundsteinlegung und das Richtfest. Ebenso gut organisiert startete die Hausgemeinschaft in das gemeinschaftliche Wohnen. Von der Formulierung einer Präambel, die das gemeinschaftliche Zusammenleben konkretisiert über die Nutzung der Waschmaschinen im Keller bis hin zur Kinderbetreuung zu festen Zeiten hat sich die Gruppe bereits im Vorfeld Gedanken gemacht.
Dass es nicht nur bei der Theorie blieb, haben die Bewohner in den letzten beiden Jahren bewiesen. Gemeinsame Aktivitäten, an denen sich ein großer Teil der Hausgemeinschaft beteiligt, sind gang und gäbe im Haus Mobile. Sie reichen vom sonntäglichen Brunch, über gemeinsame Wanderungen, Diaabende bis hin zum gemeinsamen Sporteln oder der Fahrrad-AG. Donnerstags gegen 16.30 Uhr machen sich die jüngsten Bewohner auf den Weg in den Gemeinschaftsraum. Hier findet regelmäßig der Kindertreff statt, den Eltern und Rentnerinnen aus dem Haus gestalten. Durch die vielfältigen gemeinschaftlichen Aktionen kann jeder seine Fähigkeiten einbringen. Die Älteren im Haus sind nicht alleine, sie werden gebraucht, die jüngeren haben auch mal Zeit für sich, weil sie wissen, dass die Kinder gut aufgehoben sind.
Gemeinschaftlich statt anonym
Die Vorteile des gemeinschaftlichen Wohnens sieht auch Duygu Zorba aus dem Haus Mobile. „Früher habe ich in einem anonymen Mehrfamilienhaus gewohnt. Hier brauche ich nur bei den Nachbarn zu klingeln, wenn ich mal Hilfe oder Rat benötige“, freut sich die Mutter einer Tochter. Hilfe bietet zum Beispiel Familie Fellendorf. Die beiden Rentner sind wegen des Projekts von Karlsruhe nach Stuttgart gezogen. „Fürs Altenheim fühlten wir uns noch zu jung“, erklärt Elisabeth Fellendorf. Hier im Haus Mobile werden wir gebraucht, mal bei der Kinderbetreuung oder bei der Nachbarin, die sich den Arm gebrochen hat. Auch ihr Mann engagiert sich in der Hausgemeinschaft. Der begeisterte Bastler liebt Holz. Klar, dass er häufig in der hauseigenen Werkstatt zu finden ist. Gemeinsam mit anderen Hobbyhandwerkern repariert er Stühle aus dem Gemeinschaftsraum oder baut einen Hasenstall für die Kinder im Haus. Dabei kann er auf einen umfangreichen Werkzeugpool zurückgreifen. Gleich ob Hammer, Bohrmaschine oder Kreissäge, viele haben zur Ausstattung der Werkstatt beigetragen, alle können davon profitieren.
Ökologische Standards
Profitieren kann auch die Umwelt von gemeinschaftlichen Wohnprojekten. Die gemeinsame Nutzung von Geräten, beispielsweise von Waschmaschinen im Keller oder Sportgeräten im Gymnastikraum schont einerseits den Geldbeutel des Einzelnen, andererseits können so auch Ressourcen geschont werden. „Die Einhaltung von ökologischen Standards hat sich die Wohngenossenschaft pro… eG von Anfang an auf die Fahnen geschrieben“, erklärt Vorstandsvorsitzender Martin Link.
Beim Bau der Projekte wird auf die Verwendung von Baumaterialien aus nachwachsenden Rohstoffen geachtet, es werden lösungsmittelarme Farben eingesetzt und auf Weichmacher wird verzichtet. Betondecken und Wände aus Kalkvollsteinen werden durch hygroskopisches Putzmaterial überdeckt und sorgen damit für ein gutes Wohnklima.
Für ein lokal verbessertes Mikroklima sorgt die extensive Dachbegrünung. Fußbodenheizungen in den Wohnungen ermöglichen sehr niedrige Temperaturen beim Heizungsvorlauf und sorgen für geringe Verluste bei der Wärmeverteilung sowie für einen effizienten Betrieb des Wärmeerzeugers. Gas-Brennwert-Kessel und Erdwärme erreichen so ihren optimalen Wirkungsgrad. Der Gesamtenergiedurchlassgrad der Fenster aus pflegeleichtem Kunststoff oder Eichenholz und durch die Wärmeschutzverglasung ist gering: Insgesamt unterschreiten die Häuser der pro… eG die zulässigen Werte für den Energieverbrauch um 20 Prozent.
Im Schorndorfer Projekt Mühlbachhaus realisiert die Hausgemeinschaft weitere ökologische Maßnahmen. Sie investiert in eine Erdwärmeheizung, in eine vorbereitete Fotovoltaik auf dem Dach sowie in ein Grauwassersystem. Letzteres ermöglicht die Verwendung von gebrauchtem Wasser für die Toilettenspülung. So kann wertvolles Trinkwasser gespart werden.
Integrativ und Generationen übergreifend
Nachhaltigkeit ist in den gemeinschaftlichen Wohnprojekten aber nicht nur unter ökologischen Aspekten zu sehen, sondern auch unter sozialen Gesichtspunkten. Anders als in herkömmlichen Baugemeinschaften, die meist aus Eigentümern bestehen, sind in wohngenossenschaftlichen Projekten immer auch Mietwohnungen zu finden.
Das heißt, nicht nur finanziell potente Personen schließen sich zusammen, sondern auch Haushalte mit kleinerem Einkommen, Migranten, kinderreiche Familien und Menschen mit Behinderungen. So werden in das Mühlbachhaus vier geistig behinderte Menschen einziehen, die von der Diakonie betreut werden. Auch im Haus Mosaik, das als drittes gemeinschaftliches Wohnprojekt auf dem Stuttgarter Burgholzhof Ende des Jahres gebaut wird, werden Menschen mit Behinderungen einziehen.
Auf eine Generationen übergreifende Konzeption setzt die Genossenschaft ganz bewusst. „So kann ein positives und konstruktives Generationenverhältnis entstehen“, erläutert Martin Link. Mit ihren Wohnprojekten reagiert die Genossenschaft auf die zukünftige demografische Entwicklung: Die Gesellschaft wird immer älter, die Finanzierbarkeit staatlicher Fürsorge wie Renten-, Pflege-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung wird zunehmend unsicherer. Gefragt sind deshalb Lebensmodelle mit Netzwerkcharakter, wie die gemeinschaftlichen Wohnprojekte. So entstehen beständige Hausgemeinschaften, die nicht nur altersgemischt, sondern auch gemischt sind in Bezug auf den Lebensstil, das Einkommen und den kulturellen Hintergrund der Bewohner.
Mieter planen mit
Zum genossenschaftlichen Prinzip gehört das finanzielle Engagement der Mieter. Je nach Wohnungsgröße erwerben die Mitglieder Genossenschaftsanteile zwischen 10.125 und 22.500 Euro. Darüber hinaus erbringen sie Eigenleistungen in ihrer Mietwohnung im Wert zwischen 3.375 Euro und 7.500 Euro, je nach Wohnungsgröße. Das ist im Vergleich zu anderen Genossenschaften zwar ein deutlich höherer Betrag, aber die Mieter profitieren in mehrfacher Hinsicht: Sie sind an der Planung des Hauses genauso beteiligt wie die Eigentümer, sie nehmen also an den regelmäßig stattfindenden Planungstreffen im Vorfeld der Realisierung teil und haben das gleiche Mitspracherecht wie die Eigentümer. Darüber hinaus können sie den Grundriss ihrer Wohnung selbst gestalten. Auch die Gemeinschaftsräume stehen ihnen selbstverständlich zur Verfügung. Dafür wird keine zusätzliche Miete berechnet, die Mieter beteiligen sich lediglich an den Nebenkosten für die Räume. Außerdem haben die Mieter die Möglichkeit, ihre Wohnung zu einem späteren Zeitpunkt zu kaufen, die erworbenen Anteile werden dann angerechnet.
Das Interesse an der gemeinschaftlichen Wohnform ist enorm. Dies erfahren die Bewohner des Wabe-Hauses sozusagen vor der eigenen Haustür. Das Haus ist gewissermaßen das Pionierprojekt für gemeinschaftliches Wohnen auf dem Stuttgarter Burgholzhof. Bereits seit 2001 wohnen 15 Parteien im Haus. Seit dem Einzug geben sich dort Pressevertreter, Studenten und Seniorenkreise die Klinke in die Hand, um sich über das Wohnprojekt zu informieren. Wabe-Bewohnerin Doris Kunkel, die Interessierte durch das Haus führt, berichtet: „Häufig erzählen mir die Besucher wie kalt und seelenlos es oft in ihrem Wohnumfeld zugeht und wie gut wir es im Gegensatz dazu im Wabe-Haus haben. Wenn ich von Alltagskram erzähle, der uns im Haus umtreibt, führen sie mir vor Augen, wie wir in der Gemeinschaft Probleme durch nachbarschaftliche Hilfe erträglicher oder lösbar machen, zum Beispiel durch Hilfe beim Einkauf. Dinge, die einem gar nicht mehr auffallen, weil sie für uns im Haus selbstverständlich sind.“
Dass gemeinschaftliches Wohnen im Trend liegt, zeigt die deutschlandweit steigende Anzahl entsprechender Projekte und Initiativen (siehe die weiterführenden Links). Auch die Stuttgarter Genossenschaft spürt dies deutlich. Voraussichtlich im Herbst dieses Jahres startet der Bau des dritten Projekts im Stuttgarter Stadtteil Burgholzhof, des Hauses Mosaik mit 28 Wohneinheiten. Die pro… eG ist auch über die Grenzen Stuttgarts hinaus aktiv. Das Tübinger Haus Solidarité ist seit 2006 bezogen. Weitere Projekte werden derzeit in Heidelberg, Dossenheim, Gerlingen, Schwäbisch Gmünd, Bietigheim-Bissingen, Öhringen und Ludwigsburg geplant und von der Genossenschaft begleitet.
Links und Literatur
Gabriele Gerngroß-Haas: Anders leben als gewohnt. Wenn verschiedene Frauen unter ein Dach ziehen. Ulrike Helmer Verlag. ISBN 3-89741-169-5
Dörte Fuchs/Jutta Orth: Umzug in ein neues Leben – Wohnalternativen für die zweite Lebenshälfte. Kösel Verlag, ISBN 3-466-30625-6
Stattbau Hamburg (Hrsg.): Wohnprojekte, Baugemeinschaften, soziale Stadtentwicklung: das Stattbau-Buch, 2002
www.stattbau-hamburg.de
Glücklich, Detlev (Hrsg.): Ökologisches Bauen – von Grundlagen zu Gesamtkonzepten, DVA, 2005.
Gemeinsam statt einsam – Neue Wohnformen: www.neue-wohnformen.de
Forum Gemeinschaftliches Wohnen e.V. Bundesvereinigung: www.fgw-ev.de
Ansprechpartnerin:
Tina Block
Wohngenossenschaft pro… gemeinsam bauen und leben eG Stuttgart
Tel. 0711-2348162
info@pro-wohngenossenschaft.de
www.pro-wohngenossenschaft.de
Quelle: NABU – Naturschutzbund Deutschland e.V.