Zum Inhalt springen

Das Landleben, das Stadtleben und das Auto

[Beitrag zu einer zähen Diskussion auf www.utopia.de zwischen Menschen, die Autos lieben und den anderen, die keinen Humor haben]

Jeder Versuch, sich mitzuteilen, kann nur mit dem Wohlwollen des Anderen gelingen

(Max Frisch)

Welche Art von Humor richtig und welche Wohnform in der Stadt oder auf dem Land als die ideale verteidigt werden muss, ist mir eigentlich ziemlich egal. Vielleicht kann ich anhand einer Erfahrung deutlicher machen, um was es mir geht.

Ende 1990 hat mich mein Dienstherr von Wiesbaden in die Stadt Brandenburg geschickt, um dort alle Sparkassen auf den im Westen üblichen baulich technischen Stand zu bringen. Das Stadtbild von Brandenburg war noch weitestgehend so, wie ich es von früheren Besuchen bei Verwandten oder als Tourist kannte, aus meiner subjektiven Sicht typisch DDR. Blaugraue Anoraks, graue Gesichter und Fassaden, schlechte Luft, Braunkohle- und Zweitaktergestank, freie Parkplätze, wenig Autos, aber eine funktionierende, wenn auch alte, Straßenbahn, die noch überall durchkam. Es gab überall HO-Läden, auch auf den Dörfern, und wenn eine Ansiedlung zu klein war, um Dorf genannt zu werden, gab es eine Versorgung mit dem Lieferwagen. Die Arbeiter des Stahlwerks, die nicht zu Fuß oder mit der Straßenbahn zur Arbeit kamen (Mopeds und Trabis waren die Ausnahme), wurden mit Werksbussen gefahren. Es gab Feierabendheime und gemeinsame Aktivitäten in Nachbarschaften, es gab eine gut organisierte Tauschwirtschaft,… Es war nicht nur schlecht.

Dann kamen die Versicherungsvertreter, Autohändler und Bauträger. Ich war selber an der planerischen Entwicklung eines Geschäftszentrums in der Mitte der Trabantenstadt Hohenstücken beteiligt, die in Relation zur Einwohnerzahl schwach versorgt war, auch hinsichtlich öffentlicher Plätze und Räume mit Aufenthaltsqualität. Dieses Stadtzentrum ist nicht gebaut worden, aber außerhalb der Stadt auf den Feldern sind Supermärkte in den Dreck gepflanzt worden, bei Schmerzke zum Beispiel – welch passender Name! – , immer in größtmöglicher Entfernung zur umgebenden Bebauung. Ja, und Wohnhäuser wurden auch am liebsten dort gebaut, wo man nur mit dem Auto bequem hinkommt.

Um es kurz zu machen: Mitte 1991 blieb die Straßenbahn im Verkehrsstau der vielen neuen Renaults, BMWs und dergleichen stecken. Stau auf allen Straßen, obwohl die Meisten garnicht mehr zur Arbeit fahren mussten oder durften. Stahlwerk in Abwicklung, Zuckerfabrik und Molkerei von Westkonzernen übernommen und dichtgemacht, usw. Die kleinen Läden wurden auch geschlossen. Wer ein Auto hatte, kaufte in Schmerzke. Und wer auf dem Land lebte oder mitten in der Stadt und kein Auto hatte, der hatte es schwer, noch etwas zu essen zu finden. Gut, nach Schmerzke haben sie dann einen Bus fahren lassen, damit die Innenstadtbewohner auch am Stadtrand in der schönen neuen Warenwelt ihr Geld lassen konnten. Ein Einkauf, früher in einer halben Stunde zu Fuß erledigt, brauchte jetzt mindestens drei Stunden, und es war eine elende Plackerei, mit den vollen Plastiktüten die Heimreise im Bus zu machen.

Es ist überhaupt nicht in meinem Sinne, das Leben auf dem Land schlechtzureden. Eher im Gegenteil – vielleicht würde ich es selber machen, wenn ich ohne Auto dort nicht sehr hungrig und einsam bleiben müsste. Was ich meine, ist, dass dort wo Menschen wohnen, sie auch ihre Grundbedürfnisse befriedigen können müssen. Wer Versorgung und soziales Leben vom Besitz eines Autos und den körperlichen und geistigen Fähigkeiten zum Autofahren abhängig macht, schließt einen Teil der Menschheit vom menschenwürdigen Leben aus – und da mache ich nicht mit.