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Siedlungs-Ökologie und Agenda 21

    An die Stadt Traunstein und die Unterstützer der lokalen Agenda 21

    25. September 2002

    Sie hatten mich nach meiner Ausarbeitung über die Siedlungsökologie gefragt und ich hatte Ihnen geschrieben, dass der Text noch Rohmaterial ist. Das ist natürlich keine befriedigende Antwort. Deshalb sende ich Ihnen hier eine kleine Zusammenfassung. Meinem heutigen Brief über die Kosten und die Finanzierung möchte ich noch ein paar Stichworte nachtragen, den Text finden Sie am Ende dieses Schreibens.

    PREISWERT BAUEN UND SCHÖNER WOHNEN

    In Deutschland könnten mittelfristig weitere 1,2 Millionen jüngere Mieterhaushalte in ein eigenes Haus ziehen, wenn entsprechend preiswerte Neubauten im Angebot wären. Dies ist die Kernaussage der Studie „Potentiale für kostengünstige Eigenheime“ des Bonner Forschungsinstituts Empirica. In Traunstein könnten 250 Haushalte ins Eigenheim ziehen, die sich zu den üblichen Preisen nie ein Haus leisten können. Aber bei einem Preis unter 150.000 Euro pro Haus kann der Traum doch noch wahr werden.

    Bezahlbares Bauen ist ohne Einschränkung der Wohnqualität möglich, einige gebaute Beispiele zeigen, dass sogar eine höhere Lebensqualität als in konventionellen Einfamilienhaussiedlungen erreicht werden kann. Wir möchten das auch in Traunstein beweisen. Die Devise: Kleine Grundstücke, intelligente Bauproduktion, bauen in Eigenregie!

    Bei Baulandpreisen von 200 Euro je Quadratmeter muss der Eigenheimer heute mehr als 100.000 Euro für den Boden locker machen. In flächensparenden Wohngebieten lassen sich davon bis zu 80.000 Euro einsparen. Und das – wie einige vom bayerischen Innenminister propagierte Beispiele zeigen – bei höherem Wohnkomfort.
    Eine Hausgruppe lässt sich günstiger bauen als viele Einzelhäuser. Normal braucht jeder Bauherr seinen eigenen Kran, Strom- und Wasseranschluss, Baustelleneinrichtung,… Beim gemeinschaftlichen Bauen kann ein Kran 4 oder mehr Häuser bedienen, und es wird im Taktverfahren zeitversetzt gebaut, so dass es für die Handwerker für längere Zeit eine gleichmäßige Auslastung ohne Wartezeiten gibt.

    Die Hausgruppe oder eine ganze Siedlung wird als Großbaustelle geplant, ausgeschrieben und organisiert, aber jede Familie rechnet selbst mit den Bauunternehmen ab. Jeder ist sein eigener Bauträger, es fliessen keine Gelder über die Konten von Dritten, also zwischengeschalteten Baubetreuern, Bauträgern oder sonstigen Firmen, sondern nur direkt vom Bauherrn zu demjenigen, der die Leistung erbracht hat. Der Architekt des Bauherrn prüft vorher, ob die Rechnungen und die Leistungen der Handwerker in Ordnung sind und ist verantwortlich für einwandfreie Ausführung.

    Die Siedlung und die Einzelhäuser werden gemeinsam geplant, so dass es zu keinen Überraschungen oder Unstimmigkeiten unter späteren Nachbarn kommt. Die Bauherren lernen sich schon kennen, bevor die Parzellen aufgeteilt werden. Während der Planung wird versucht, soviel Übereinstimmung wie irgend möglich zu entdecken und bei weitgehend individueller Grundrissgestaltung möglichst rationelles Bauen zu erreichen. Man kann einen Katalog von Standard- Bauteilen entwickeln, mit dem jeder sein ganz individuelles Haus zusammensetzen kann.

    Die Eigenleistungen der Bauherren werden organisiert. Bauherren können entweder direkt in die Kolonne der ausführenden Unternehmen eintreten. Oder es werden Teilleistungen parallel zu den Handwerkern in angeleiteter Gruppenselbsthilfe erbracht. Auch Bauherren ohne handwerkliche Erfahrungen können nach Anleitung einfache Arbeiten ausführen.

    Bauherren können nicht nur am eigenen Haus Leistungen erbringen, sondern auch bei den Nachbarn. Alle Leistungen für die Nachbarhäuser werden natürlich auf die Kosten des eigenen Hauses angerechnet. Wenn die Siedlung fertig ist, hat so niemand mehr eine Verpflichtung, irgendwann einmal irgendwo jemandem beim Hausbau zu helfen, der einem selbst mal geholfen hat.

    Wer gerade keine andere Beschäftigung hat, kann im Laufe eines Jahres zwei Drittel der Rohbaukosten seines eigenen Hauses durch eigene Arbeit abgelten. 4 oder 5 Personen können innerhalb eines Jahres ein schlüsselfertiges Eigenheim erarbeiten.

    Den professionellen Handwerkern entgeht dadurch kein Gewinn – im Gegenteil: Diese Häuser würden ja ohne die Förderung der Eigenleistungen nicht zu 100% von Handwerksbetrieben errichtet, sondern garnicht. Da es sich um verdichtetes Bauen handelt, werden auf der gleichen Siedlungsfläche bis zu doppelt soviele Häuser gebaut, wie in der typischen Streusiedlung. Das heisst auch doppeltes Bauvolumen für das örtliche Handwerk. Fertighäuser können bei dieser Gebäude-Art zur Freude der örtlichen Handwerker kaum verwendet werden.

    SCHÖPFUNG ACHTEN UND BEWAHREN

    Die Erde wäre für Menschen nicht bewohnbar, wenn nicht Bäume und Meeresplankton grosse Mengen Kohlendioxid der Atmosphäre entzogen und in Sauerstoff umgewandelt hätten. Wir machen diese Entwicklung rückgängig, wenn wir Erdöl, Gas und Kohle verheizen.

    Wir könnten so bauen und leben, dass wir ohne diese Energiequellen auskommen. Das gilt sowohl für die Heizung als auch für die Herstellung der Baustoffe und den Verkehr. Für private PKW-Fahrten wird ebensoviel Energie verbraucht wie für die Heizungen, der Anteil steigt aber.

    Es ist auch höchste Zeit, dass wir den Boden, ebenso wie Luft und Wasser, als eine lebensnotwendige Ressource betrachten, als ein nicht beliebig veräußerbares Gut, das unter anderem Voraussetzung ist für einen nachhaltigen Natur- und Umweltschutz sowie einen funktionierenden Artenschutz, von dem Erhalt unserer eigenen Lebensgrundlage ganz zu schweigen.

    Wer ökologisch bauen will, lässt nicht nur Styropor-Dämmplatten, PVC-Böden und Aluminium-Haustür im Baumarkt stehen, sondern kümmert sich auch um eine günstige Bauform, eine sinnvolle Lage mit guter Verkehrsanbindung und die Rahmenbedingungen für ein soziales Leben.

    EINE STADT DER KURZEN WEGE

    Nach landläufiger Überzeugung kann der Wunsch nach schönem Wohnen mit sicheren Spielgelegenheiten für die Kinder nur im Eigenheim auf dem Land erfüllt werden kann. Die Nutzung der dörflichen Randbereiche für Wohnzwecke. bringt Trennungen von Hof und Feld durch Wohngebiete mit sich. Das beeinträchtigt sowohl den landwirtschaftlichen Funktionsablauf als auch die Wohnqualität der Neubürger.

    Bauland ist dort am billigsten, wo es an allem fehlt, was man zum Leben braucht. Die Ansprüche an die Lebensqualität werden weiterhin in der Stadt befriedigt. Die alten Zentren können aber ihrer Funktion nicht mehr gerecht werden, wenn ein immer größer werdender Teil der Bevölkerung in schlecht versorgten Schlafsiedlungen wohnt. Diese Menschen sind für alle Aktivitäten ausserhalb der Wohnung auf das Auto angewiesen. Sie brauchen Parkplätze und Strassen, wo immer sie hinkommen.

    Eine Stadtplanung mit menschenfreundlicher Nutzungsmischung bei hoher Bebauungsdichte verringert den Transportbedarf und die Zahl der Privat-PKW, hält Wegstrecken kurz und damit das Verkehrsaufkommen gering, die Flächen für ruhenden und fliessenden Verkehr können reduziert werden. Werden Wohnungen, Restaurants, Geschäfte, emissionsarme Gewerbe, Kinos und Theater in einem Viertel angesiedelt, können Menschen in diesem Stadtviertel wirklich leben und nicht nur dort schlafen. Die Beeinträchtigungen durch Gewerbe sind heute nicht mehr so gross, dass man Wohnen und Arbeiten strikt trennen muss.

    Bevor neue Baugebiete ausserhalb der zusammenhängenden Orte erschlossen werden, müssen die Lücken innerorts geschlossen werden. Dort ist die notwendige Infrastruktur vorhanden, wird aber zum Nachteil der Bürger, die sie bezahlt haben, nicht voll genutzt.

    GESUND BAUEN UND LEBEN

    Gesundheit wird definiert als Zustand völligen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens. Damit der Mensch sich rundum wohlfühlen kann, muss seine Wohnung

    • vor Lärm, Erschütterungen, Feuchtigkeit, Staub, Russ, Abgasen, Benzoldämpfen, elektromagnetischen Feldern, Mikrowellenbestrahlung, Radioaktivität und giftigen Ausdünstungen aus Baustoffen schützen,
    • eine behagliche und hygienische Heizung mit einem hohen Anteil an Strahlungswärme und wenig Staubaufwirbelungen haben,
    • gut belüftet werden können und genügend Sonnenlicht hereinlassen,
    • und bequem und sicher zu benutzen sein.
      Seelisches und soziales Wohlbefinden ist in hohem Masse von der Umgebung der Wohnung abhängig, so wohl von der Qualität der bebauten und unbebauten Landschaft als auch von den Nachbarn und der Art, wie die Menschen miteinander umgehen.
      Die gesunde menschen- und umweltfreundliche Stadt…
    • hat ein schönes interessantes Wohnumfeld, in dem die Menschen ihre Freizeit verbringen und geniessen können und Kinder gefahrlos spielen können
    • bietet Grünflächen, Spazierwege, Wanderwege, private und öffentliche Gärten und Freiräume für Kreativität
    • fördert die Harmonie von Körper, Geist, Seele und Umwelt
    • ist so weit wie möglich frei von Barrieren gegen körperlich oder anderweitig eingeschränkte Menschen
    • sichert ein gesundes Wohnklima durch ökologisch unbedenkliche Baustoffe
    • grenzt Störungen aus dem Baugrund und dem Kosmos aus.
      Wenn die Bedürfnisse der Bewohner optimal in gebaute Form umgesetzt werden sollen, ist es unumgänglich, die Bürger von Anfang an bei der Bebauungsplanung mitbestimmen zu lassen.

    LEBENDIGE DEMOKRATIE

    Die besten Siedlungen entstehen, wenn die Bewohner mitplanen. Bei der Erarbeitung der Bebauungspläne sollten die Bauwilligen beteiligt werden. Ein schöner Nebeneffekt: so lernen sich die Bauherren schon lange vor dem Einzug kennen und jeder kann sich die passenden Nachbarn aussuchen.

    Damit in Zukunft Bebauungspläne mit neuen Ideen und zum Wohl der Bewohner und der Umwelt entstehen, mischen sich ökologisch und sozial orientierte Bürger in die Bauleitplanung ein und gestalten ihre Siedlung von Anfang an mit. Das Baugesetzbuch schreibt eine Beteiligung ausdrücklich vor.

    SOZIALES LEBEN

    Man kann davon ausgehen, dass ohne städtebauliche Konzentration die kulturelle Entwicklung nicht so fortgeschritten wäre, wie es tatsächlich der Fall ist. Mit baulicher Dichte verbindet sich Information, Nachbarschaft, kulturelles Leben, Vielfalt, mit einem Wort: Urbanität.

    Der öffentliche Raum soll wiederbelebt werden, um erneut als „Ort“ der Entstehung und Entwicklung von Gemeinschaftssinn, sozialen Aktivitäten und Vitalität zu dienen. Wir möchten aus den öffentlichen Flächen vor den Haustüren bewohnbare und belebte Aussenräume machen, die zum Verweilen einladen und ungefährdetes Spielen der Kinder zulassen und nicht nur reine Verkehrsfläche sind.

    Der Mensch braucht mehr als ein grosses Wohnzimmer, Süd-Terrasse und Doppelgarage. Die menschenfreundliche Siedlung bietet Plätze, Zeichen, Merkmale, Objekte, die zum Verweilen und zum Plausch einladen. Soziales Leben braucht Kristallisationskerne. Das kann zum Beispiel ein Brunnen sein, die Dorflinde mit der Sitzbank oder der Spielplatz. Sitzgelegenheiten mit Überdachungen oder berankte Pergolen mit Bänken vermitteln ein Gefühl der Geborgenheit, aus dem heraus leicht soziale Kontakte geknüpft werden können.

    Diese sozialen Elemente der Architektur machen ein Wohnquartier zur Heimat. Je stärker die Identifikation mit dem Wohnumfeld ist, desto größer ist letztlich auch die Bereitschaft, für die Gestaltung seines Viertels auch Verantwortung mit zu übernehmen. Es ist dringend notwendig, wieder Siedlungsformen zu realisieren, die dem Miteinander der Menschen förderlich sind.

    PRIVATHEIT

    für ein positives Miteinander, eine angenehme Nachbarschaft und soziales Leben ist die erste Voraussetzung, dass der Einzelne sich zurückziehen, ungestört und unbeobachtet sein kann. Wer sich nicht zurückziehen kann, begegnet den Mitmenschen zunehmend mit Ablehnung oder gar Aggressivität.

    Parzellengrößen unter 800 Quadratmeter bei offener Bauweise, also freistehenden Einzelhäusern, sind weniger geeignet für ein friedliches Nebeneinander der Nachbarn, als Häuser, die mit guter Schalldämmung Wand an Wand stehen. Die schmalen Abstandsflächen zwischen den Häusern dagegen kosten zwar viel Geld, lassen sich aber kaum akzeptabel gestalten und sind oft Anlass für Streitigkeiten.

    Eine geschickte Siedlungsplanung schafft für jedes Haus eine lebhafte öffentliche und eine ruhige private Seite, Erholung und Geborgenheit auf der einen und urbanes Leben auf der anderen Seite. Eine geschlossene Bebauung ist wie eine Lärmschutzwand. Bei freistehenden Häusern dagegen findet eine Kreischsäge oder ein defekter Auspuff volle Aufmerksamkeit im ganzen Quartier.

    Kurz:

    Ökologische Bebauungspläne sind gefragt, die durch dichte Bauweise Heizenergie und Boden sparen helfen, Regenwasser und Sonnenenergie nutzen, das Auto überflüssig machen, das Verweilen interessant machen, soziales Denken und Handeln und die Gesundheit von Körper, Geist und Seele fördern.

    Nachtrag zu meinem Schreiben über die Finanzierung:

    Realisierbar sind Baukosten von 150.000 Euro pro Haus einschliesslich Grundstückskauf und Baubetreuung bei einem realistischen Grundstückspreis von 265 Euro pro Quadratmeter.

    Ich rechne grundsätzlich nicht mit einer besonderen (über das Normale hinausgehenden) finanziellen Förderung durch die Stadt oder andere offene Hände. Eine positive Überraschung würde ich natürlich trotzdem herbeizuführen versuchen.

    Ganz wichtig ist mir über den Immobilien-Erwerb hinaus die Existenzsicherung der Bauherren. Es sind Finanzierungsmodelle denkbar und realisierbar, die den Verlust der Immobilie an die Gläubiger verhindern, wenn der Schuldner durch äußeren Einfluss in finanzielle Schwierigkeiten gerät. Immobilienkauf soll doch in den meisten Fällen auch der Absicherung für das Alter dienen, deshalb muss man diesen Aspekt sehr umfangreich berücksichtigen und dieses Bedürfnis befriedigen.

    Das geht über den üblichen Beratungsumfang der üblichen Finanzinstitute hinaus, ist auch nicht geeignet, die Gewinne der Kreditinstitute zu steigern. Deswegen werden Sie aus dieser Richtung starken Gegenwind spüren, wenn Sie das Thema anschneiden.

    Eckpunkte des Bau- und Finanzierungs-Systems:

    • Wohnungs-Eigentümer-Gemeinschaft,
    • eine Art Reihenhäuser,
    • Gemeinschaftsgrundstück in Stiftungs- oder Fondsbesitz,
    • Sondernutzungsrechte für die einzelnen Häuser (Wohnungseigentumgesetz)
    • Fremdkapital auch von privaten Anlegern („Fonds“),
    • Altersabsicherung für die Eigentümer-Bewohner,
    • gemeinschaftliche Restschuldversicherung.
    • Altersvorsorge: Die Leute investieren nicht nur in Immobilien, sondern zahlen auch in einen Vorsorge-Fonds ein, der zumindest den Besitz des Hauses und das Existenzminimum im Alter sicherstellt. Jeder, der Leistungen der Gemeinschaft in Anspruch nimmt, ist verpflichtet, dafür Arbeitsleistung zu erbringen, soweit zumutbar.

    Wir haben die Chance, in Geißing etwas wirklich Neues zu realisieren, das mit Sicherheit zum Modell für die ganze Republik und darüber hinaus werden wird, wenn wir es schaffen, die üblichen Zweifler zu überzeugen (überzeugen heisst nicht überreden, sondern zur eigenen Einsicht verhelfen).

    Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

    Mit freundlichen Grüßen

    Thomas P. Bittner