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Die Flucht aufs Land und die ländliche Streusiedlung

oder

Willste übern Rasen laufen, musste Dir’n Grundstück kaufen

Anspruch

Das Baugesetzbuch macht es den Entscheidungsträgern in den Gemeinden, Städten und Kreisen zur Pflicht, Bauleitpläne aufzustellen, die „eine geordnete städtebauliche Entwicklung gewährleisten. Sie sollen dazu beitragen, eine menschenwürdige Umwelt zu sichern, die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen und zu entwickeln sowie den Klimaschutz und die Klimaanpassung, insbesondere auch in der Stadtentwicklung, zu fördern, sowie die städtebauliche Gestalt und das Orts- und Landschaftsbild baukulturell zu erhalten und zu entwickeln.“

„Mit Grund und Boden soll sparsam und schonend umgegangen werden… Landwirtschaftlich, als Wald oder für Wohnzwecke genutzte Flächen sollen nur im notwendigen Umfang für andere Nutzungsarten vorgesehen und in Anspruch genommen werden“.

Die „Belange der Wirtschaft, auch ihrer mittelständischen Struktur im Interesse einer verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung, der Land und Forstwirtschaft, des Verkehrs und der Mobilität der Bevölkerung, einschließlich des öffentlichen Personennahverkehrs, des Post- und Telekommunikationswesens, der Versorgung, insbesondere mit Energie und Wasser, der Abfallentsorgung und der Abwasserbeseitigung sowie die Sicherung von Rohstoffvorkommen und die Erhaltung, Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen“ sind besonders zu berücksichtigen, ebenso „die Erhaltung, Erneuerung und Fortentwicklung vorhandener Ortsteile sowie die Gestaltung des Orts- und Landschaftsbilds“.

Die Oberste Baubehörde in Bayern gibt zum Umgang mit der Landschaft folgende Empfehlungen: „Flächensparendes Bauen ist ein wesentlicher Beitrag des heutigen Städtebaus zur Schaffung zusätzlicher Wohnungen. . . Bei neuen Bauflächen kommt es darauf an, diese Flächen auch intensiv zu nutzen. Der sparsame Umgang mit Grund und Boden ist einer der wichtigsten Grundsätze des Städtebaus. Dieser Planungsgrundsatz muss in der Praxis umgesetzt werden… Das locker bebaute Einfamilienhausgebiet, das großflächig die Landschaft überzieht, kann dabei kein zukunftsweisendes Siedlungsleitbild sein. Der große Flächenverbrauch ergibt in der Regel kein Mehr an Wohnqualität: Die Abstandsflächen sind wenig nutzbar und die Privatheit der Gärten wird durch Straßenlärm und Einblicke beeinträchtigt“ (Staatsminister Dr. Günther Beckstein in “Flächensparende Wohngebiete”)

Realität

Wunschvorstellung vieler Eigenheimer ist das Leben im Grünen, nahe an der Natur. Nach landläufiger Überzeugung kann der Wunsch nach erholsamem und gesundem Wohnen mit Garten und sauberer Luft nur im Eigenheim auf dem Land erfüllt werden. Diese Einstellung ist unter anderem Folge jahrzehntelanger Propaganda und staatlicher Förderung. Konrad Adenauer sah das Einfamilienhaus als Ausdruck der starken Verwurzelung der Bevölkerung mit Grund und Boden und als Mittel zur Sicherung des inneren Halts. Wer ein eigenes Haus hat, wird kein Kommunist.

Im Wohnungsbaugesetz wurde festgeschrieben, dass für die breiten Schichten des Volkes billige Mietwohnungen zur Verfügung gestellt werden sollten, dass aber für den Bau von Wohnungen, die die Entfaltung eines gesunden Familienlebens gewährleisten, bevorzugt die Bildung von Einzeleigentum zu fördern ist.

Aus psychologischer Sicht ist die Flucht aufs Land auch eine Reaktion auf die Arbeitswelt, die wenig Anerkennung bietet, aber harten Konkurrenzkampf erzeugt. Der Einzelne erlebt Umwelt als feindlich, nicht nur am Arbeitsplatz, sondern zum Beispiel auch im Straßenverkehr, und entwickelt das starke Bedürfnis, sich in die schützende Privatsphäre eines eigenen Hauses zurückzuziehen.

Was private Bauherren in den wuchernden Erweiterungszonen der Dörfer an selbstbestimmter Architektur verwirklichen, ist für den Betrachter allerdings oft unbefriedigend und gibt kaum Anhaltspunkte dafür, welche Gebrauchswerte die Siedler im genormten Massenwohnungsbau eigentlich vermisst haben.

72 Prozent der Deutschen wollen eine deutliche Trennung von Wohn- und Gewerbegebieten, genausoviele wünschen sich aber auch abends ein lebendiges Leben und Treiben auf den Straßen (Hermann Unterstöger: Das Deutschland der Zukunft, in Süddeutsche Zeitung vom 20.01.1996)

Häufig wird die Isolation des Einzelnen in der Stadt beklagt, aber das freistehende Häuschen, Wunschdomizil der Meisten, drückt aber eher den Wunsch nach Distanz aus als dass es die Gemeinschaft fördert.

Reihenhäuser werden als Kompromiss verstanden, der es immerhin möglich macht, mit geringerem Einkommen zu den Priviligierten gehören zu können, die einen eigenen Rasen vor der Haustür haben. Solange das Reihenhaus aber nur als eigentlich gewollte Villa im Park empfunden wird, die mangels Masse zwei Wände mit Nachbarn teilen muss, wird man schwerlich die verborgenen Qualitäten dieser Hausform wahrnehmen können. Die Chance, mit aneinandergereihten Häusern urbane Ortsbilder und Lebensformen zu bewirken, wird selten genutzt.

Hier tut Information not. Es ist kein Naturgesetz, dass Reihenhaustrennwände hellhörig sein müssen. Man darf halt an dieser Stelle nicht zu sparsam sein. Das Abstandsgrün zur Grenze kostet leicht 50.000 Euro fürs Bauland; dazu kommt die Bepflanzung, der Gartenzaun und zusätzliche Anliegerbeiträge, weil ja der Straßenabschnitt vor dem eigenen Grundstück länger wird. Wer ein Zehntel des Eingesparten in die Schallämmung zum Nachbarn steckt, hört von dem nichts mehr.

Für den Exodus ins gelobte Land am Rande der Stadt gibt es pekuniäre Beweggründe. Bauland ist dort am billigsten, wo es an allem fehlt, was das Leben komfortabel macht. Die Ansprüche an die Lebensqualität werden jedoch nicht aufgegeben. Die Stadt muss weiterhin die Bedürfnisse der Abtrünnigen befriedigen: Versorgung, Bildung, Vergnügen.

Der Traum vom Leben im Grünen kann in den Gartenzwergbiotopen nicht wahr werden. Eigenheimsiedlungen bieten kein Naturerleben sondern in günstigen Fällen lediglich den Trost, dass man mit dem Auto schnell in die Natur kommt, als aus der Stadt heraus.

Im Eigenheim sei man sein eigener Herr, meinen viele, und es würde kein Lärm vom Mieter drüber oder drunter stören. Na gut, aber wie sieht es mit dem Garten aus? Rasenmähergeknatter, Grillgestank, Unkrautsamen, überhängende Äste, Schatten, unverschämte Blicke, Kindergeschrei, Gartenfeste, Haustiere, Komposthaufen und vieles mehr können die Nachbarschaft sehr „reizvoll“ machen.

Die heute üblichen minimierten Parzellen erlauben es nicht mehr, zum Nachbarn den Abstand zu wahren, der für ein friedliches Nebeneinander notwendig ist, und sie lassen keine akzeptable Gestaltung und Nutzung der Abstandsflächen zu. Die Dreimeterstreifen beiderseits der Grundstücksgrenze sind öfter ein Anlass für Streitigkeiten als eine Quelle der Lebensfreude. Schallschutz ist hier, anders als zwischen Reihenhäusern, nicht möglich. Schlafzimmer an der Ostseite des Einen und Wohnzimmer des Anderen an der Westseite stehen regelmäßig in Hörweite vis-à-vis.

Die überwiegende Mehrzahl der neuen Siedlungs- und Gewerbeflächen stellen einen unnötig hohen Landschaftsverbrauch dar, der den Druck sowohl auf die Landwirtschaft als auch auf ökologische Ausgleichsflächen verstärkt. Dabei ist es zwingend notwendig, alle Register zu ziehen, um einen weitergehenden Landschaftsverbrauch zu verhindern.

Die Flucht aufs Land ist die Folge unwirtlich gewordener Städte; sie verschärft aber die Probleme. Denn der Drang in die Vororte führt dazu, dass sich die Städte wie Geschwüre in die naturnahe Landschaft ausdehnen. Die Zahl der Pendler wächst, die Wege zwischen Wohnung, Arbeitsplatz, Einkauf und Erholung werden noch länger. Die Wohngebiete an den Straßen werden unattraktiver und veranlassen weitere Bürger, ins Grüne zu ziehen.

Die alten Zentren können ihrer Funktion nicht mehr gerecht werden, wenn ein immer größer werdender Teil der Bevölkerung in schlecht versorgten Schlafsiedlungen wohnt. Diese Menschen sind für alle außerhäusigen Aktivitäten auf das Auto angewiesen. Sie brauchen Parkplätze, wo immer sie hinkommen und sie erwarten staufreie Straßen. Das bieten ihnen die Einkaufszentren außerhalb der Städte.

Da kann eine gewachsene Altstadt, und sei sie noch so schön, auf Dauer nicht konkurrieren. Der autogerechte Umbau der Stadt kann den Trend nicht aufhalten, er vertreibt die Bewohner und beraubt diese Orte damit ihrer Chance, als lebendiges menschliches Gemeinwesen von hohem kulturellem Niveau überleben zu können. Einzelhändler ziehen an den Stadtrand, weil ihre alte Kundschaft ausbleibt. Schon werden Kinos, Tanzschulen und Restaurants in Gewerbegebieten angesiedelt und städtische Mehrzweckhallen auf die grüne Wiese gesetzt, weil nur dort ausreichend Parkplätze für die Besucher zur Verfügung gestellt werden können. Das bietet die Gewähr dafür, dass auch die Stadtkernbewohner in Zukunft ohne Auto nicht mehr am öffentlichen Leben teilnehmen können. Wer wird unter diesen Bedingungen noch in der Stadt bleiben? Woher nehmen die Bürgermeister die Zuversicht, dass ausgerechnet ihrer Stadt der schleichende Niedergang zum elenden Slum erspart bleiben wird?

Stadträte, welche die geschilderten Entwicklungen zulassen, die solche Planungen in Auftrag geben oder dulden, müssen sich vorwerfen lassen, dass sie im Widerspruch zum Baugesetzbuch handeln. Sie gehen nicht sparsam mit dem Boden um. Sie vernachlässigen die Interessen der mittelständischen Wirtschaft. Sie verhindern eine verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung. Sie behindern den öffentlichen Personennahverkehr, vernichten Arbeitsplätze und tun nichts für die Erhaltung des Orts- und Landschaftsbildes.

Eine geordnete städtebauliche Entwicklung ist nicht gegeben, wenn Agrarland, das für die Produktion von Lebensmitteln und nachwachsenden Rohstoffen benötigt wird, hemmungslos für Bauland der Stadtflüchtlinge, Einkaufszentren, Straßen und Parkplätze verschwendet wird.

Da reden Gemeinderäte vollen Ernstes davon, dass der ortsübliche Charakter der ländlichen Streusiedlung erhalten bleiben soll, deshalb lehnen sie dichte Bauweisen ab. Höchstmaß des Tolerierbaren ist die Reihenhausbebauung ohne Mittelhäuser: das Doppelhaus.

Die ländliche Streusiedlung ist aber geprägt durch Landwirtschaft mit dicht bebauten Einzelgehöften, die kilometerweit auseinander liegen, nicht durch aufgeschüttete Südterrrassen, Hollywoodschaukeln, Gartenzwerge und Doppelgaragen. Was hier und anderswo entsteht, sind städtische Streusiedlungen. Diese reinen Wohngebiete schließen von Gesetz wegen aus, dass hier Landwirtschaft oder Gewerbe betrieben werden. Die üblichen Bebauungspläne lassen nicht einmal Läden, Wirtshäuser und Kirchen zu.

Die Nutzung der dörflichen Randbereiche für Wohnzwecke bringt Trennungen von Hof und Feld durch Wohngebiete mit sich. Das beeinträchtigt sowohl den landwirtschaftlichen Funktionsablauf als auch die Wohnqualität der Neubürger. Da die Siedlungen keine Arbeitsplätze, Schulen und ausreichende Einkaufsmöglichkeiten bieten, entsteht notgedrungen zusätzlicher Verkehr mit Belastungen für die Gesamtstadt.

Chancen

88 % der Bundesrepublik sind noch nicht bebaut, aber es wird täglich weniger. Wie der Flächenfraß gebremst werden kann, zeigt die Broschüre “Flächensparende Wohngebiete”, herausgegeben von der Obersten Baubehörde in Bayern, anhand einiger guter Beispiele für verdichtetes Bauen auf 147 bis 393 m² Grundstücksfläche je Wohneinheit. Aber auch damit entstehen regelmäßig nur Schlafsiedlungen an Stadträndern, oder was noch schlimmer ist: Dorferweiterungsgeschwüre für Stadtpendler, die mit dem ursprünglichen Dorfleben fremdeln.

Der Psychologe Alexander Mitscherlich gab zu bedenken: „Wenn Produktions-, Verwaltungs-, Vergnügungs- und Wohnbereiche regional streng getrennt sind, was hält dann das Leben in einer Stadt noch zusammen? Dann werden hier und dort verstreut Teilwünsche befriedigt, die aber nicht mehr auf ein Ganzes bezogen, und der Erfahrung eines Ganzen integriert werden können. Es stellt sich dann ein Zustand permanenter Gereiztheit her, der nicht mehr mit einer Gestalt – der mütterlichen Stadt – sondern mit gestaltlosen, erregenden oder beruhigenden Erfahrungen im Zusammenhang erlebt wird (A. Mitscherlich: „Die Unwirtlichkeit unserer Städte – Anstiftung zum Unfrieden“; Suhrkamp Verlag, Frankfurt, 1965).

Mit einer Flächenplanung, die auf Mischnutzung setzt, also Wohnungen, Restaurants, Geschäfte, emissionsarme Gewerbe, Kinos und Theater in einem Viertel ansiedelt, kann nicht nur der Verkehr reduziert, sondern gleichzeitig die Anonymität gebrochen werden, die nicht nur in Großstädten sondern auch in den Schlafsiedlungen der Eigenheimer zu Hause ist.

Wenn die Menschen in einem Stadtviertel wirklich leben und nicht nur dort wohnen, ist es viel leichter, ein Gefühl der Zugehörigkeit, des Daheim-Seins zu entwickeln. Cafés, Straßenhändler, kleine Parks oder öffentlich zugängliche Höfe verleihen einen eigenen Charakter, die Wohngebiete werden zu etwas Besonderem auch für die Bewohner. Außerdem entstehen dadurch sogenannte öffentliche Plätze, die es dem Menschen ermöglichen, die Straßen tatsächlich zu beleben, sich zu begegnen und kennenzulernen.

Eine starke und menschenfreundliche Nutzungsmischung bei hoher Bebauungsdichte verringert den Transportbedarf und die Zahl der Privat-PKW, hält Wegstrecken kurz und damit das Verkehrsaufkommen gering, die Flächen für ruhenden und fließenden Verkehr können reduziert werden.

Dort, wo die notwendige Nutzungsmischung noch nicht gegeben ist, muss nachgebessert werden. Bebaubare Flächen in oder bei reinen Wohngebieten müssen für Arbeitsplätze und Versorgung genutzt werden. Gewerbegebiete müssen durch Wohnungsbauten ergänzt werden. Für die vielerorts ausgewiesenen Gewerbegrundstücke, die nicht verkauft werden können, bietet sich eine schleunige Umwidmung zum Mischgebiet an.

Wir müssen konstatieren, dass die Funktionsentflechtung, wie sie in den zwanziger Jahren entwickelt und mit der „Charta von Athen“ 1933 propagiert wurde, ein Irrtum gewesen ist. Im Namen von Hygiene, Ordnung und Verkehr wird seitdem die traditionelle Stadt zerstört. Die Reduzierung  der Sadtplanung auf reine Betriebstechnik wird aber der menschlichen Psyche nicht gerecht. Die Annahme damaliger Stadtplaner, der Verkehr sei zu einer wesentlichen Funktion des urbanen Lebens geworden, ist meines Erachtens falsch. Die ursprüngliche Funktion der Stadt war nicht die Fortbewegung sondern das Verharren. Menschen treffen sich an einem Ort und beschließen, zusammen dort zu leben. Daraus erst entsteht Stadt, nicht aus der Bewegung.

Der Verfall unserer Gemeinwesen und das nachlassende soziale Engagement der Bürger sind unvermeidliche Konsequenzen unserer Verkehrsgesellschaft. Wer außerhalb seiner vier Wände nur mittels Lichthupe, Gaspedal und Gebärdensprache kommunizieren kann, schafft keine Gemeinschaft.

Die strikte Trennung der Funktionen muss aufgehoben werden; das sehen inzwischen auch Teile der Bundesregierung so. Reine Wohngebiete sollten nach den Vorstellungen des ehemaligen Bundesbauministers Klaus Töpfer nicht mehr entstehen. Eine stärkere Mischung von Wohnen, Dienstleistungen und Gewerbe sollte im Baugesetzbuch verankert werden, um Verkehrswege zu verkürzen und die Umwelt zu entlasten.

Es bleibt zu hoffen, dass auch die Gemeinderäte und Bauausschüsse in der Provinz den Weitblick haben, zu erkennen, dass dies eine Chance ist, besser zu wohnen als gewohnt.

Hier geht es weiter:

Anders wohnen als gewohnt

Little Boxes

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